HarzKurier 22.01.2000 (36)
Zur Siedlungsgeschichte „der Freiheit"

von Albrecht Schütze

Sanierungsarbeiten 1976 im Abschnitt Hauptstraße in der Nähe der Schule.  Foto: H. Becker, Bad Sachsa

Osterode. Die Entstehung des Dorfes Freiheit wird vorwiegend im Zusammenhang mit der Burg gesehen. Doch bevor diese gebaut wurde, gab es sicherlich schon eine größere Ansiedlung an geschützter Uferlage des Gebirgsbaches „Lerbach", der auch von den Freiheitern als „Flut" bezeichnet wird. Wasser ist zum Leben notwendig, für Pflanzen sowohl Tiere als auch Menschen - oder wie man kurz sagt: „Wo Wasser ist, ist auch Leben!"

Die Siedlungsgeschichte belegt, dass „verlässliche Wasserstellen" (die zu allen Jahreszeiten nutzbar bleiben) begehrte Standorte für Tiere und Menschen waren. Die Senke zwischen Butterberg und Röddenberg bot nicht nur Schutz gegen Unbilden des Wetters, sondern sicherte auch die Lebensgrundlage durch den nie versiegenden Wasserlauf. Der Lerbach führte Wassermassen, die im Vergleich zur Bremke und Söse in der Regel berechenbar bleiben. Erst als die Bewaldung mehr und mehr zurückgedrängt wurde, schwoll der Lerbach manchmal derart an, dass er auch Angst und Schrecken verbreitete.

Die Bezeichnimg „Flut" geht sicherlich auf solche Ereignisse zurück, wie in einer Chronik nachzulesen ist: „Am 27. Juni 1861 war ein wolkenbruchartiger Regen, welcher zwei Tage und Nächte andauerte. Infolgedessen schwoll der Lerbach so hoch an, dass er den ganzen Ort überschwemmte. Bäume trieben herab, legten sich quer vor die Gebäude, so dass mehrere Ställe vollständig weggerissen wurden. Von Freiheit ab floss das Wasser durch die Johannisvorstadt, wo es bei den niedrig gelegenen Gebäuden in die Fenster des unteren Stockwerkes
floss".

Der Lerbach lieferte den Siedlern das begehrte Wasser zur Existenzgründung, für die Garten- und Feldarbeit sowie Tierhaltung. Nach einem Foto von 1905 zu urteilen, wurde das Lerbachwasser auch in einem offenen „Holzgerenne" abgezweigt, um die Haushaltungen mit Gebrauchswasser zu versorgen, während der natürliche Bachverkauf mit Wasserrädern für gewerbliche Betriebe versehen wurde oder um in anderer Weise betriebswirtschaftlich genutzt zu werden. Nicht nur die handwerklichen Arbeitsstätten nutzten die Wasserkraft, auch die aufkommende Industrie sah in dem ganzjährig fließenden Lerbach eine zuverlässige Energiequelle, die den Aufschwung der Textilindustrie ab 1830 sehr begünstigte.

Der offene Bachverlauf war bald an beiden Uferseiten mit Häusern besetzt und streckenweise überbaut worden. Von Jahr zu Jahr verschwand der Bach aus dem Blickfeld der Einwohner, bis er schließlich ganz verrohrt unter der Straßendecke floss.

1955 musste die Straßenbrücke über den Lerbach erneuert und verstärkt werden, denn durch den Beitritt der BRD zur Nato und des Atlantikpakts war die Stabiliät für schwere Panzerfahrzeuge nicht mehr gegeben. 1976 wurde der nachfolgende Bachabschnitt vor dem Schulgebäude saniert.

Mit der Bau der Wasserleitung (1892) und der Stilliegung aller öffentlichen Brunnen (1934) in Freiheit sowie der totalen Verrohrung des Bachverlaufs trat eine Bewusstseinsveränderung ein. Die Bedeutung des Lerbachs für die Ortsgeschichte Freiheit geriet in Vergessenheit. Der Name Freiheit steht berechtigt im engen Zusammenhang mit der Burg -der Lerbach sicherte die Existenzvoraussetzung für diesen Ort und seine Bewohner.