Historischer Harz-Heimatroman aus dem 16. Jahrhundert

Die Bilder zeichnete Karl Finger, Osterode (Harz),
das Bild, Innentitel (Alte Burg) Berta Tetzner, Osterode (Harz)

Druck und Verlag Giebel & Oehlschlägel, Osterode (Harz)
Umfang: 240 Seiten


 

1938  1951

1949

 

1.Auflage. 1938,

In den Jahren 1949 und folgende erschien in der Beilage des Osteroder=Kreisanzeiger" die Serie "Die neun Eichen der Freiheit"

2. Auflage 1951


Zusätzlich erschien der Roman im Osteroder=Kreisanzeiger unter der Rubrik; "Unter dem Harze" als Serie von 1949 - .... 

 


 

Vorwort zur l. Auflage

Ein Erlebnis, welches ich in der Silvesternacht 1936/37 hatte, brachte mir wieder mal recht eindringlich die Erkenntnis, daß meine Liebe zu den Heimatbergen, Tälern und Wäldern, die ich mit vielen Dorfbewohnern teile, ganz besonders in den Herzen der fern der Heimat weilenden Landsleuten wohnt. In der Ferne erst lernt man die Heimat so recht schätzen und lieben, sehnsüchtig gehen die Gedanken und Erinnerungen oft dahin. Mit großem Interesse und besonderer Freude werden Nachrichten aus und über die Heimat von ihnen aufgenommen.

Aus dieser Erkenntnis heraus reifte in mir der Entschluß, eine Heimaterzählung zu schreiben, die auf geschichtlicher Grundlage ein Stück aus der Vergangenheit unseres Dorfes Freiheit, sowie der Städte Osterode, Herzberg und unserer engeren Heimat behandelt.

Ueber eins war ich mir dabei sofort im Klaren, wollte ich das Heimatgefühl auch bei meinen Freiheitern damit stärken und darüber hinaus auch noch entfernter stehende Kreise interessieren, dann durfte ich keine nüchterne geschichtliche Abhandlung über unser Dorf schreiben, dann mußte ich, soweit meine Phantasie reichte, das wenige geschichtlich Wahre, welches ich bei den Chronisten Wendt, Renner und Max über die „Freiheit" fand, dichterisch ausschmücken und gestalten. — Ich habe das versucht; wie weit mir dieses gelungen ist, darüber mag der Leser selbst entscheiden. —

Zu der Erzählung selbst möchte ich noch sagen: Für mich gilt es als feststehend, daß das Gericht „Neun Eichen", das vom 14. Jahrhundert, nach unserer Zeitrechnung, ab öfter in den Osteroder Huldebriefen erwähnt wird, seine Mahlstatt am Burghalse der damaligen Herzogsburg, heute im Volksmunde „Alte Burg" genannt, hatte. Ferner, daß die ersten Siedler, die in der Gegend von Osterode und Freiheit siedelten, nicht dort ihre Wohnhütten aufbauten, wo sie von dem Hochwasser der Söse, zumindest jedes Jahr bei der Schneeschmelze, bedroht

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waren. Sie werden am Abhänge des Butterberges, dem heutigen Gümpelhof und einem Teil des Johannisfriedhofes gesiedelt haben. Denn der Chronist Zeiler weiß schon von einem heidnischen Götzenaltar, der in der Nähe dieser Stätten gestanden haben soll und von Bonifatius zerstört wurde, zu erzählen.

Wenn wir zu diesem noch unsere heimischen Orts-, Fluß- und Flurbezeichnungen nach keltischen Urstammworten erforschen, wie es Herr Hauptlehrer i. R. Wilhelm Oehlkers getan hat, dann wird uns die oben genannte Ansicht zur glaubwürdigen Gewißheit.

Neben dem vom Sachsenherzog Bruno gegründeten Ort "Brunsrode", der an dem heutigen Schäferberg gelegen haben soll, ist die Stätte, an der die „Alte Burg" steht, als ältestes Siedlungsgelände in der Nähe der Stadt Osterode zu bezeichnen.

Pastor Max glaubt, in seiner „Geschichte des Fürstentums Grubenhagen" feststellen zu können, daß die ersten Bewohner des Dorfes Freiheit (es werden sich nur einige, Wohnstätten unterhalb der Burg befunden haben) steuer- und kontributionsfrei waren. — Aus einem anderen Dokument, welches der Herzog Albrecht im Jahre 1474 der Stadt Osterode gab, ist sogar zu ersehen, daß die Freiheit ein gewisses Asylrecht hatte, das heißt, wenn ein Gesetzessünder sich in den Schutz der Freiheit stellte, dann war er vor dem Zugriff der Stadtrichter und sogar vor dem Herzog selber geschützt. Eine Tatsache, die auch für das Vorhandensein eines Gerichtes auf der Freiheit spricht. Aehnliche Rechte genoß, wie mir mitgeteilt ist, auch der Ort „Die kleine Freie" bei Hannover. —

Einer der sympathischsten und markantesten der Grubenhagenschen Herzöge war wohl der Herzog Ernst IV. (1551—1567). So rühmt der Chronist von ihm seinen kindlichen Gehorsam gegen seinen Vater, die innige Eintracht, in welcher er mit seinen Brüdern lebte, seine Friedensliebe, trotz aller kriegerischen Tüchtigkeit, seine Gerechtigkeitsliebe, die treue Sorge für das Wohl seiner Untertanen und seine Mäßigkeit im Essen und Trinken. — Vor seinem Regierungsantritt stand der Herzog Ernst im Dienste des Kurfürsten von Sachsen. So befehligte er im Jahre 1545 die sächsischen Truppen, welche gegen Heinrich den Jüngeren von Wolfenbüttel kämpften. Die Streitmacht, welche ihm zur Verfügung stand, wird mit 1000 Reitern und 8500

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Fußknechten, sowie 8 Stück grobe Geschütz angegeben — In dem Treffen bei Kalefeld im Alten Amt Westerhof geriet Heinrich der Jüngere mit seinem Sohn Carl Viktor als Gefangener in die Hände des Herzogs Ernst — Im Jahre 1546 befehligte er unter dem Oberbefehl des Kurfürsten von Sachsen 150 Lanzenreiter und nimmt an dem Angriff auf das Lager Kaiser Carl V. teil. — In der Schlacht bei Mühlberg, 1547, in welcher das sächsische Heer in überraschendem Angriff von den vereinigten Truppen des Kaisers, seines Bruders Ferdinand und des Herzogs Moritz, geschlagen wurden, geriet der Herzog Ernst mit dem Kurfürsten von Sachsen m die Gefangenschaft des Kaisers.

Nach seinem Regierungsantritt schloß Herzog Ernst am 10 November 1556 einen Dienstkontrakt mit Philipp II. von Spanien, in welchem er sich verpflichtete, gegen ein Gehalt von jährlich 3000 Gulden, dem Spanier von seinem Fürstentum aus jederzeit dienstgewärtig zu sein und die übertragenen Dienste persönlich zu verrichten. — Schon im folgenden Jahre erhielt Herzog Ernst die Aufforderung, mit 1000 reisigen Schützen in schwarzer Rüstung, sogenannten schwarzen Reitern, für den König von Spanien in den Niederlanden zu kämpfen. Den Sieg, den die Spanier über die bei St. Quentin angreifenden französischen Truppen errangen, haben sie wohl in der Hauptsache der Tapferkeit der deutschen Hilfstruppen zu verdanken. In dieser Schlacht, die am 10. August 1557 stattfand, fiel der Bruder des Herzogs Ernst, der Herzog Johann von Grubenhagen.

Im folgenden Jahre zog der Herzog nochmals für die Spanier nach den Niederlanden. Auch hier hat der Herzog mit seinen schwarzen Reitern an der Entscheidungsschiacht bei Gravelinea am 13. Juli 1558 teilgenommen. — Ob der ihn begleitende Pfarrherr Andreas Domeyer, der die Reformation in Osterode eingeführt hat, schon bei dem ersten Zug nach den Niederlanden im Jahre 1557 starb oder im folgenden Jahre 1558, kann ich nicht genau feststellen. Nach Max ist dies schon im Jahre 1557 geschehen, nach einer anderen Lesart erst im Jahre 1558. —

Im Jahre 1561 bezog der Herzog Ernst das ehemalige Nonnenkloster in Osterode, das er sich zu seiner Residenz hatte herrichten lassen. — Sein Jagdbedienter der Jäger Sipelitz, hatte nach Max wohl das Amt eines herzoglichen

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Jägermeisters bekleidet. — Der Kanzler Spiegelberg ist eine sehr umstrittene Person gewesen, denn es schreibt der Stolbergsche Rat Dr. Franz Schüßler über den Kanzler Spiegelberg: „Man muß den Mann etwas schmieren, oder jedes Schmiere vertrösten, denn er sucht Finanzen."

Der höchste Beamte des Herzogs war der Landdrost Otto von Berkefeld, nach der Geschichte ein angesehener reicher Mann.

Im Jahre 1554 gab Herzog Ernst die Bergfreiheit, er führte dadurch die Besiedlung des Harzes durch.

Herzog Ernsts Gemahlin war Margarethe, die Tochter des Herzogs von Pommern. Die einzige Tochter des Herzogpaares, Prinzessin Elisabeth, verheiratete sich im Jahre 1568 mit dem Herzog Johann von Schleswig-Holstein, dem höhne Friedrich II. von Dänemark. Sie wurde somit eine Urahne der letzten deutschen Kaiserin Auguste Viktoria Herzog Ernst starb am 2. April 1567. Seine Ruhestätte befindet sich vor dem Altar der St. Aegidienkirche in Osterode an der Seite seines Vaters, des Herzogs Philipp.

Hiermit habe ich den Lesern einen kurzen Blick auf den, geschichtlichen Untergrund gegeben, auf welchem diese Heimaterzählung aufgebaut ist.

Freiheit, im Februar 1938.
Julius Schumacher.


Vorwort zur 2. Auflage

Der Roman hatte bei seinem Erscheinen solchen Anklang gefunden, daß die l. Auflage schnell vergriffen war.

Ich bin daher dem Verlag Giebel & Oehlschlägel dankbar, daß er es trotz der Ungunst der Zeit ermöglicht hat, das Buch wieder herauszugeben, und der Roman so erneut in die Hände aller Freunde der Heimat gelangen kann.


Freiheit, Ostern 1951.
Julius Schumacher.


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Der Torwächter vom Johannis-Tor in Osterode, Veit Fruböse, fuhr aus seinem Halbschlaf, Dahindösen oder Dahinbrüten, wie er es selbst gern nannte, jäh auf. Er lauschte angestrengt in die dunkle Nacht hinaus. — War das nicht der Schlag von Pferdehufen, der da an sein Ohr drang? Schnell griff er nach der Hellebarde, die wohl mehr ein Zeichen seines Amtes war, als eine Waffe. Dann steckte er den ergrauten Kopf durch die große Schießscharte, die ihm den Blick nach der Johannisstraße und dem Johannisdorf frei gab. Doch schnell fuhr er zurück, denn draußen flog wie die Windsbraut eine Schar schwarzer Reiter vorbei. Heißer Atem aus Menschen- und Pferdelungen drang zu ihm herauf. Dann verschluckte die dunkle Nacht die Geisterschar.

Veit Fruböse war gewiß kein Mensch, dem irgend einer seiner näheren Bekannten Angst nachsagte, doch jetzt schlug er ein Kreuz und flüsterte den Spruch, wie er ihn noch von seinen Eltern im Gedächtnis hatte: „Heilige Mutter Maria und Joseph hilf mir”. Trotzdem Veit Fruböse ein guter Protestant war, der jeden Sonntag das Gotteswort nach Luthers Lehre in der St. Aegidienkirche hörte, half ihm der Spruch auch diesesmal. Er fand seine Fassung wieder, und das heiße Angstgefühl, welches eben zum Halse hoch stieg, verschwand.

Zum zweitenmal steckte er den Kopf aus der Schießscharte, die in Stoekwerkshöhe über der Straße lag, doch von den Reitern war nichts mehr zu sehen. — Aber jetzt schallte wieder das Geräusch von Pferdehufen zu ihm herauf. Er zog diesmal den Kopf nicht zurück, sondern versuchte, mit seinen scharfen, nachtgewohnten Augen das Dunkel zu durchdringen.

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Deutlich gewahrte er jetzt die Gestalt eines einzelnen Reiters, der den Kopf halb auf der Brust hängend, mit kurzgehaltenem Zügel, die dem Pferde eine schnellere Gangart nicht erlaubten, der vorangeeilten Schar nachzog.

Der Torwächter, teils aus Neugier, teils aus Gewohnheit, rief hinüber: „Hallo! Wer da? Gut Freund oder Feind?”

Der Angerufene fuhr hoch, richtete den Kopf zum Tore und rief zurück: „Hie gut Freund, Reiter vom Herzog Ernst zu Brunswig!” Dann ließ der Reiter dem Pferde die Zügel frei, das nun in weitausholenden Sprüngen über die hölzerne Johannisbrücke donnerte, um dann wie ein Pfeil die kleine Anhöhe, auf der das Johannisdorf lag, hinauf zu schießen.

Dort auf der Höhe warteten sehon die übrigen Reiter auf den Nachzügler. Ungeduldig tänzelten die Pferde. Nur mit Mühe wurden sie von den Reitern durch festgehaltenen Zaum gebändigt; sie witterten den Stall. Oder war es die Heimat, deren Nähe sie so ungeduldig sein ließ?

Hans Sipelitz, der zuletzt Angekommene, musterte die kleine Schar. Ja, es waren sechs, und er war der siebente. Zu neun Mann waren sie hinausgezogen, als Gefolgschaft des Herzogs Ernst von Grubenhagen auf seinem Zuge nach den Niederlanden. Für Spaniens Krone hatten sie gestritten. Der Bruder ihres Herzogs, der Herzog Johann, und über 100 tapfere Reiter waren geblieben. Darunter waren auch jene, die seine Augen jetzt vergeblich suchten, und deren Fehlen ihm die Freude an der Heimkehr, die er sieh im fremden Lande so schön ausgemalt hatte, jetzt trübte.

Erwartungsvoll, ohne irgend einen Laut von sich zu geben, sahen die sechs auf ihren Führer Hans Sipelitz, und dieser, als wolle er alle die dunklen Gestalten, die ihm diese Nacht den Weg von Herzberg nach hier so schwer machten, abschütteln, straffte die lange, sehnige Gestalt, löste das Horn von seiner Seite, und mit einem kräftigen „Halli, Hussa, Kameraden!” setzte er sich an die Spitze des kleinen Zuges. Rechts schwenkte man ein, an der Johanniskirche vorbei auf den Johannishof, der am Fuße des Burgberges lag. Jetzt erklang auch das Horn von Hans Sipelitz mit dem herzoglichen Jagd- und Kampfruf

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durch die stille dunkle Nacht. Die ersten Töne kamen gepreßt und gequält aus dem blechenen Gehäuse, aber dann klang es hell jauchzend das Tal entlang.

Freudiges Hundegebell waren die ersten Laute, die den Reitern aus den Häusern, die wie große langgestreckte Hundehütten am Fuße des Burgberges und drüben am Bündchenberge und zum Teil auch im Tal hinauf lagen* entgegenschollen. Nach dem dritten Hornruf aber wurde es lebendig in den Häusern. Hier und da leuchtete schwacher Lichtschein aus den niedrigen Fenstern auf.

Dann kamen sie aus der Siedlung zusammen, erst die Burschen, dann die Alten und zum Schluß die Frauensleute alt und jung. Sie hatten es alle eilig, denn seit Tagen wußte man, daß der Herzog auf der Heimreise war und die Krieger jederzeit eintreffen konnten.

Die Reiter hielten unbeweglich, selbst die Rosse schienen ihre Erregung verloren zu haben. Dann erhellten die ersten Harzfackeln den Platz unter den „Neun Eichen”.

Jetzt trat auch das Oberhaupt, der greise Tile Raven, auf den vom Fackelschein gespenstig erleuchteten Platz. — Die Fackel vor sich haltend, leuchtete er an jedem einzelnen Reiter empor und rief mit verhaltener Stimme die Namen: „Hans Sipelitz!” „Hier!” tönte es aus dem Dunkel. „Erik Rothen!” — „Hier!” „Karsten Woden!” — „Hier!” „Heinrich Schmidt!” — „Hier!” Hermann He-gehr!” — „Hier!” „Cord Utermöhlen!” — „Hier!” „Veit Goggrefe!” — „Hier!”

Tile Raven war bei dem letzten Reiter angekommen. Eine kleine Pause entstand. Dann ertönte seine Stimme, von neuem: „Tile Raven! Claus Marschalk! Wo sind die beiden, die mit euch auszogen?”

Die Reiter ließen allesamt langsam die Köpfe sinken. Hans Sipelitz fühlte, jetzt war die Stunde gekommen, vor der ihm immer gebangt hatte, die ihn nachts aus seinem Schlaf erwachen ließ, die Stunde, in der er einem allen Vater alle Hoffnung nehmen mußte. Mit rascher Wendung sprang er vom Pferde, warf den Zaum einem jungen Burschen hin, der sich herangedrängt hatte, trat auf den alten Mann zu und streckte ihm die Rechte entgegen. Mit

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Gewalt unterdrückte er die weiche Hegang in seiner Brust und sagte mit fester Stimme: „Tile Raven, dein Sohn starb als Held für des Herzogs Ruhm und Ehre. Er und Claus Marschalk deckten mit ihren Leibern den Herzog Johann. Auch dieser kehrt nicht zurück.”

Einen Augenblick schien es, als wolle die Fackel der alten zittrigen Hand entfallen, dann hob Tile Raven den Kopf, und den Umstehenden schien es, als sei ein seltsames Leuchten in die sonst so matten Augen gekommen, und mit müder, doch fester Stimme fragte er: ..Mein Sohn und auch Claus Marschalk, sie starben als Holden für den Herzog. Seid ihr dessen Zeugen?”

„Ja!” klang es einstimmig von den Reitern herüber, und Hans Sipelitz sprach weiter: „Wir zeugen es, die beiden starben als Helden und als gute Christen! Ihre Leiber ruhen in den Niederlanden, ihre Seelen aber sind bei Gott!” —
Mit der knöchernen Hand fuhr sich Tile Raven über das faltenreiche Gesicht, als wolle er da etwas wegwischen, was sich ohne seinen Willen in die Augen gestohlen hatte, doch dann rief er mit lauter Stimme, der das Alter ihren Klang noch nicht genommen hatte: „Ist der Herzog mit euch zufrieden, so ist es für uns eine Ehre, euch als die Unsrigen in der Heimat zu begrüßen.”

Solche Art war man gewohnt von Tile Raven; er war nie ein Freund von vielen Worten gewesen, aber was er sagte, kam aus dem Herzen, so daß er in der Siedlung ungewählt als Oberhaupt galt.

Die Worte des Alten waren gleichsam das Zeichen für die allgemeine Begrüßung. Die Reiter sprangen mit leichtem Schwung, der die Uebung verriet, aus den Sätteln. Der Bann, der bis jetzt auf den Versammelten gelegen hatte, war gebrochen. Alles eilte herbei, um einen Angehörigen, Verwandten oder guten Freund zu begrüßen. Junge Burschen nahmen den Reitern die Zügel der Pferde aus den Händen und streichelten und liebkosten die Tiere.

Erst waren die Stimmen gedämpft, doch dann brach die Freude durch. Zehn Fragen auf einmal wurden au jeden einzelnen der Ankömmlinge gerichtet, ohne daß die Fragesteller ernstlich eine Antwort erwartet hätten. Die schon zum Teil Totgeglaubten waren da, und das genügte

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für den Augenblick. Sie standen leibhaftig vor ihnen, man konnte mit ihnen sprechen, und das war Freude genug.

Nur zwei Männer sonderten sich ab von dem Haufen der vor Freude weinenden und lachenden Menschen und raten unter die alten Eichen am Rande des Johannishof es: der greise Tile Raven, dessen Gestalt in der letzten Viertelstunde noch mehr zusammengesunken schien, und Hans Siepelitz, groß, schlank, sehnig, ein Bild echter deutscher Manneskraft und Würde.

Sipelitz wußte, daß er, außer von einigen Freunden und Bekannten, heute von niemand hier erwartet wurde. Er war früh Waise geworden, sein Vater war am 12. Oktober 1545 an der Seite des Herzog Ernst bei Kalefeld in dem Feldzug gegen Heinrich den Jüngeren von Wolfenbüttel gefallen. Seine Mutter starb einige Jahre später.

Jetzt war es Tile Raven, der in der Stunde, wo er selbst den größten Schmerz seines Lebens trug, den Jüngeren über das traurige Wiedersehen hinwegzuhelfen versuchte. Sanft legte er die Hand auf dessen Schulter und fragte: „Fällt dir nichts auf an diesem Platz, Hans?

Der Angeredete erwachte aus seinem Sinnen, er war mit seinen Gedanken auf den Schlachtfeldern in den Niederlanden gewesen, wo Herzog Ernst mit seinen 150 schwarzen Reitern den Sieg für Spaniens Krone erkämpft hatte. — An alle Einzelheiten des Kampfes erinnerte er sich genau, als wären sie eben geschehen, doch jetzt sah er auf, und blickte den Frager an, um dann verwundert den Platz zu betrachten. Der Wind hatte sich aufgemacht und versuchte, den nachtschwarzen Himmel blank zu fegen, so daß dann und wann der Mond für Minuten aus dem dunklen Gewölk hervorsah. So konnte Siepelitz die nähere Umgebung genau erkennen und bemerkte auch die Veränderung.

Von den drei uralten Eichen, die ihn noch bei ihrem Auszug mit rauschenden Kronen gegrüßt hatten, standen nur noch zwei.

Tile Raven fing den fragenden Blick des Jüngeren auf und sagte, als spräche er nicht zu einem anderen sondern für sich allein: „Einst waren es neun Eichen, daher der erste Name der Siedlung: ..Neun Eichen!” Jetzt

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sind es nur noch zwei. Neun starke Geschlechter wohnten einst als freie Sachsen im Schutze der Burg. Von den neun Geschlechtern haben zwei nur noch Nachkommen am Leben. Die dritte Eiche brach der Sturm am 10. August dieses Jahres, und die nächste”, Tile zeigte mit der ausgestreckten Hand auf den Baum, der ihm am nächsten stand, „schlug des Herrgotts Feuerstrahl und spaltete ihre Krone, so daß auch sie nur noch eine beschränkte Lebensdauer hatte.”

Sipelitz horchte auf, der 10. August, das war der Tag, an dem sie bei St. Quentin gegen die Uebermacht der Franzosen anritten. War das Zufall oder Schicksal, dieses Zusammentreffen der Ereignisse? So fragte er gespannt: „Und welche Geschlechter blühen noch?”

Tile Raven schien die Frage erwartet zu haben, denn er antwortete sofort, während seine Augen in der Krone der knorrigen Eiche zu suchen schienen: „Die Namen willst du wissen ? Du fragst damit zugleich nach deinem und meinem Schicksal.” — Nach einer kurzen Atempause fuhr er fort: „Sie heißen Sipelitz und Raven!”

Die beiden Männer hatten bei ihrer kurzen Unterhaltung nicht bemerkt, daß das Geräusch von Rede und Gegenrede, das eben noch lebhaft aus dem Kreis der Versammelten zu ihnen herüber gedrungen war, langsam nachgelassen hatte. Die letzten Fackeln fingen an zu erlöschen. Ab und zu war schon ein scheuer Blick zu ihnen herübergeflogen, und als nach den letzten Worten des Alten eine längere Pause in dem Gespräch der beiden Männer eintrat, faßte sich einer der Reiter ein Herz, trat auf Raven und Sipelitz zu und wünschte ihnen eine gute Nacht. Dem ersten folgten andere, und ihnen die übrigen. Nach kurzer Zeit standen Raven und Sipelitz allein auf dem Platz, der eben noch Zeuge lebhafter Freude gewesen war.

Sipelitz sah sich nach seinem Pferde um. Es stand noch dort, wo er es dem Burschen überlassen hatte. Sipelitz pfiff leise, das Pferd hob den Kopf und trabte dann mit langsamen Schritten, gefolgt von dem Burschen, der es am Halfter hielt, auf seinen Herrn zu.

Zum zweiten Male am heutigen Abend streckte Sipelitz dem Alten die Rechte hin, diesmal, um ihm eine gute

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Nacht zu wünschen. Doch Raven winkte ab. „Wo willst du in dieser Nacht hin, Hans? Wenn ich auch einigen Frauen Anweisung gegeben habe, daß sie dein Haus während deiner Abwesenheit in Ordnung halten möchten, so ist doch nichts geschehen, dir das Quartier für diese Nacht angenehm zu machen. Außerdem fühle ich mich heute so einsam, daß ich dich wohl bitten möchte, mein Gast zu sein. Ich hörte gern von dir über Tile, meinem Sohn.”

Sipelitz fühlte, es wäre eine Kränkung für den Alten gewesen, wollte er die Bitte abschlagen. So nahm er dem Burschen den Zügel des Pferdes aus den Händen, sagte einige freundliche Worte und folgte dem schon voran-schreitenden Raven. —

Sie brauchten nicht lange zu gehen. Das Haus, welches Tile Raven sein eigen und Elternhaus nannte, lag nicht direkt am Burgberg, sondern stand etwas abseits zum Tale hin. Nachdem Sipelitz unter Mithilfe des Alten sein Pferd in dem geräumigen Stall untergebracht hatte, traten sie durch die große Diele in die zu ebener Erde gelegene Wohnstube.

Dort war schon alles zum Mahle gerüstet. In dem Kamin flackerten mächtige Buchenscheite. Auf dem schweren Eichentische war ein Abendessen zugerichtet. Frischgeschlachtetes, Räucherware, ein großes rundes Kornbrot und Bier waren auf getragen. Das Zimmer war erhellt durch einen Oelkrüsel, der zusammen mit dem Feuer im Kamin ein unruhig flackerndes Licht verbreitete.

Tile Raven nahm seinem Gast den Mantel ab und nötigte ihn, am Tische Platz zu nehmen: „Du siehst, meine Tochter Margarethe hat ihr möglichstes getan, um dich als Freund des Hauses zu empfangen. Nun stärke dich erst, und dann wollen wir ein wenig über Vergangenes und Zukünftiges reden.”

Sipelitz, der sah, daß der Alte äußerlich seine Ruhe wieder gefunden hatte, nahm ohne langes Zögern Platz, und während Tile Raven sich einen niedrigen Schemel an den Kamin zog und in die helle Flamme sah, stillte er seinen Hunger.
Der schwarze Reiter betrachtete verstohlen, während er

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emsig kaute, den Alten, wie dieser in sich zusammengesunken in die züngelnden Flammen des Kaminfeuers stierte. Es kam ihm wie eine Sünde vor, daß er ruhig aß, während der andere innerlich vom Gram verzehrt wurde. Er schob den letzten Bissen in den Mund, legte dann ruhig das Messer weg, nahm einen Schemel und setzte sich neben Tile Raven an den Kamin.

Der sah auf und fragte: „Hast schnell gegessen, Hans, die Kost scheint dir nicht zu munden, ihr habt wohl drüben in den Niederlanden nur Gesottenes und Gebratenes vorgesetzt bekommen?’ Ohne dann eine Antwort abzuwarten, stand er auf, räumte Speisen und Geschirr hinweg und setzte sich wieder auf seinen Platz. „So, nun erzähle von deinen Erlebnissen, Hans!” Erst stockend, dann aber fließend, ohne sonderliche Hast sprechend, kam Sipelitz der Aufforderung nach.

„Wir sind bis zum Schluß, bis uns Tiles Tod gewaltsam trennte, gute Freunde gewesen, ja wir haben manche Nacht die Lagerstatt zusammen geteilt. Wir waren jung und der Kampf lockte. Der Ritt nach Maistricht zum Sammelplatz dauerte uns fast zu lange. Endlich, am 28. Juli, trafen wir bei Marienburg mit den Spaniern zusammen. Dort erlebten wir die erste Enttäuschung. Wohl waren wir als Krieger sehr willkommen, doch im geheimen betrachtete man uns als Ketzer. Es hätte als Feigheit vor dem Feinde ausgelegt werden können, sonst wären wir dort am liebsten umgekehrt. Wir hätten besser daran getan, diese Schande auf uns zu nehmen, denn ich glaube, dieser Kampf, den wir als bezahlte deutsche Söldner mitfochten, war Sünde. Sünde gegen den Glauben und Sünde gegen unser deutsches Vaterland; denn der König war von Spanien, Philipp II., haßt unsern Glauben und rottet die Ketzer aus, wo es ihm nur möglich ist. Wir Ketzer, ausgerechnet wir, mußten es sein, die ihm zu seinem Sieg über die Franzosen verhalfen. Schade um das deutsche Blut, das in diesem Kampfe geflossen ist.”

Sipelitz’ Stimme hatte einen düsteren Klang bekommen. Nach kurzem Nachdenken fuhr er fort: „Am 10. August war es. Die Spanier glaubten, stolz und übermütig, stark

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genug zu sein, den Franzosen allein entgegentreten zu können. Doch sie sahen sich bald getäuscht; sie waren dem Ansturm der in dichten Kolonnen anrückenden Franzosen nicht gewachsen. Der rechte Flügel war schon in Unordnung und fing an zu weichen. Da, in der Not, erinnerte sich der Herzog von Savoyen, der Oberbefehlshaber des spanischen Heeres, seiner deutschen Hilfstruppen, der Ketzer. Unter Führung unseres Herzogs Ernst ritten wir im jagenden Galopp dem Feinde entgegen. Schon waren wir in dem kämpfenden Haufen, und unsere Schwerter bekamen harte Arbeit. Was nicht vom Schwert fiel, wurde nieder geritten. Der spanische Schrecken war jetzt auf Seiten der Franzosen. Hier und da bäumte sich wohl ein Pferd auf, doch weiter ging es, eine Gasse brechend, durch die französischen Kolonnen. Im Rücken des Feindes erst machten wir kehrt. Wieder jagten unsere Rosse, wieder zog der Tod mit uns und unseren langen Schwertern durch die Reihen des Feindes. Ich glaube, man hat uns für die Teufel gehalten; denn die Gegenwehr war nach dem ersten Ansturm nur noch schwach. — Da sahen wir rechts von uns auf einem einzelnen Gehöft eine Anzahl französischer Offiziere mit ihrem Troß halten. Der Herzog winkte mit dem Schwert, und schon stob die wilde Jagd auf das Gehöft zu. Da brachen aus dem Hinterhalt französische Reiter in übermächtiger Zahl hervor. Ein Zurück gab es nicht mehr; also hieß es kämpfen. — Es war ein harter, ungleicher Kampf, und wenn wir doch gesiegt haben, so war dieser Sieg schwer erkauft. Herzog Johann und über hundert tapfere Reiter starben in diesem Treffen den Heldentod. — Euer Sohn, Tile Raven, war unter den Helden, die hier fielen. Bei dem Versuch, den schwerverwundeten Herzog Johann zu schützen, erlag er der Uebermacht. Sein Grab befindet sich im Garten des Gehöfts bei St. Quentin im Schatten einer Eiche. Sein Schwert und seine Rüstung brachte ich euch mit in die Heimat. Sie liegen wohl verstaut auf dem Osteroder Rüstwagen, der wohl morgen mit den Reitern hier eintreffen würd. Grüße kann ich euch nicht überbringen. Als ich das Unglück bemerkte, lebte der Herzog noch; doch Tile, euer Sohn, war schon gestorben.” 

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„War gestorben”, klang es gleich einem Echo aus Tile Ravens Munde. Dann trat quälende Stille ein, die nur von dem Knistern der Buchenscheite im Kamin unterbrochen wurde.

Beide Männer sahen in die Flammen, als könnten sie dort ein Schicksal lesen, dessen Schatten sich dunkel im Zimmer auftürmte, dort drohend stand, ihnen das Herz in der Brust zusammenpreßte und die Augen zum Tränen brachte.

Endlich nach langer, langer Pause wurde die Stille von dem Alten unterbrochen. Sipelitz schien es, als sei die Stimme noch müder geworden, als klänge sie zu ihm aus einer anderen Welt, einer Welt, die schon gestorben war. Nur der tiefe, ruhige Atem des anderen zeugte davon, daß der Mensch, der da vor ihm saß und Worte formte, lückenhafte Sätze sprach, die fast zusammenhanglos in der Luft hingen, Fleisch und Blut war.

„Schicksal — Schicksal der Geschlechter der „Neun Eichen!” — Leben und Sterben für den Herzog!— Früher hatte das Sterben noch einen Zweck: man starb für die Heimat, für die Freiheit, ganz früher wohl auch für seine Götter. — Heute sucht man den Tod um des Todes willen. — Man stirbt in fremden Landen, für den Glanz fremder Kronen. — Als Held natürlich. — Noch nie ist einer aus den Geschlechtern der „Neun Eichen” als Feigling gestorben! — Treu, gewissenhaft und zähe wie die Eichen, welche ihr Wappen und Sinnbild waren, so lebten und so starben sie. — Die alte Sachsenburg des Löwenherzogs zerfällt, nicht im Feuer großer Geschütze, nein, verlassen und vergessen von ihren Besitzern. — Die Eichen knickt der Sturm oder Gottes Blitzstrahl, und die Helden liegen in fremder Erde. — Einer lebt nur noch, der ein Schwert zu führen weiß. — Wie lange noch? — Dann wird der Sturm auch diese letzte Eiche brechen. — Dann ist Friede im Tale der „Neun Eichen”. — Kein Schwerterklang wird sich in das Rauschen und Poltern des Lerbachs mischen, kein frischer, fröhlicher Jagdruf beim Sonnerwachen den grünen Wald erwecken. — „Neun Eichen”, der Ort der Freiheit, einst Wohnsitz freier Männer, wie lange noch

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wird man sieh auf dich' besinnen ? — Schon drängt die Stadt näher, die Bürger und Krämer zerpflücken den Kranz unserer ererbten Rechte und Freiheiten durch erschlichene Privilegien, und mit der letzten Eiche fällt eine kleine Welt, die wohl schlicht und einfach’, aber kühn und frei war!”

Tile Raven hatte geendet. Stille trat wieder ein in dem halbdunklen Raum. Die Buchenscheite im Kamin fielen in sich zusammen, verlöschende Funken wurden zu Asche. Da kehrte der Alte zur Wirklichkeit zurück. Er stand auf, und seine Worte: „Wir wollen schlafen gehen”, waren für den Jüngeren das Zeichen, sich zu erheben. —

Die Kammer, welche Tile Raven seinem Gaste angewiesen hatte, lag dem Burgberg zu. Sipelitz trat an das niedrige Schiebefenster und sah’ hinaus. Das zerrissene Gewölk, vom Wind getrieben, ließ ab und zu die bleiche Mondsichel vom Himmel herab leuchten, und dann konnte er das Gemäuer der Burg deutlich’ erkennen. — Altersgrau, kalt und trutzig stand der Bergfried in der Mitte der schon zerfallenen Wohn- und Wirtschaftsgebäude.

Dann gingen seine Gedanken wieder den Worten Tile Ravens nach, und so etwas wie Schuldbewußtsein kroch in seine Seele. Die peinigenden Selbstvorwürfe, mit teil zu haben an dem Tode des Kameraden, quälten und marterten ihn. Nochmals hielt er jetzt im stillen Gericht über sich selbst.

Wußte er nicht, daß sein Freund Tile weniger kampfgeübt war als er? Wußte er nicht, daß Tile, aus den Jünglings jähren heraus, nicht mehr über den stählernen Körper, über die eisernen Muskeln verfügte wie er selber! Er, Sipelitz, war am herzoglichen Hofe erzogen, zum Kriegsmann ausgebildet, auf der Jagd und im friedlichen Kampfe geübt, alle Lagen zu beherrschen. Ja, er beherrschte sie, das hatte er seinen Lehrern nur zu oft bewiesen, und heute wußte und konnte er noch mehr; das hatte ihm der Feldzug in den Niederlanden gezeigt. Der Kampf, das fließende Blut, hatten ihn nicht verwirrt, nein, hatten im Augenblick des Schreckens ihm nur einen Gedanken gelassen — er schauderte vor sich selber —, er mochte ihn

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nicht aussprechen und doch drängte er sich ihm auf die Lippen, der Gedanke: ,,töten .

Dieser Gedanke riß ihn immer vorwärts, ließ ihn die Kameraden nicht mehr beachten, lockte ihn in das dichteste Kampfgewühl, und sein langes, breites Sachsenschwert, ererbt von den Vätern, machte furchtbare Arbeit.

So war er von der Seite des Freundes abgekommen. Erst als er Luft hatte, konnte er sich umsehen. Aber da war es zu spät. —

Was nutzte ihm nun die Auszeichnung seines Herzogs. Was war ihm alle Ehre! Den Freund ersetzte ihm das alles nicht, der war tot, und die Augen des alten Tile würden ihm immer ins Herz brennen, vorwurfsvoll fragen, wo warst du, als Tile starb? Und die Antwort, — er krampfte die Faust zusammen. als könnte er sie mit eigner Kraft zerbrechen—, er tötete, statt den Freund zu schützen.

Barbar, hatte man zu ihm gesagt. — Barbar! Ja, er erinnerte sich des Vorfalls.

Der Herzog von Savoyen hatte zur Siegesfeier nach der Einnahme von St. Quentin auf dem Markt neben anderen Belustigungen für das siegreiche Meer und das Volk auch einen Stierkampf veranstalten lassen. Die Stiere und Toreros waren eigens dazu aus Spanien nachgekommen. Ihm und dem Leutnant Franz von Berlefeld war die Ehre geworden, an der Seite der beiden braunschweigischen Herzöge, Herzog Ernst und Herzog Philipp, auf der Ehrentribüne dem Schauspiel beizuwohnen. Auf dem Wege zum großen Platz, der durch Auf richten eines Zaunes aus schweren Holzplanken zur Arena hergerichtet war. bettelte ihn ein altes Weib um ein Almosen an. Er warf ihr ein Geldstück in die offene Hand. Neben Worten des Dankes rief ihm die alte Frau noch zu: „Seid auf der Hui. junger Held, mit stumpfem Schwert geht man nicht zu einem Feste, wo Blut fließen soll!” —

Verwundert hatte er ihr nachgeschaut, dann auf offener Straße das Schwert aus der Hülle gezogen und ei betrachtet. Ja, das sah böse aus. Die Spieße und Schulterpanzer der Franzosen hatten ihre Spuren hinterlassen. Es glich eher einer Säge als einem Kriegschwert,

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Dann hatte er kurz überlegt: „Waren die Worte der alten Frau ihm von der Vorsehung zugetragen, nun, dann hatte er sie verstanden.”

Er suchte einen Waffenschmied auf; doch der Meister war wohl schon zum Festplatz. Schließlich fand sich aber der bejahrte Vater des Schmiedes bereit, ihm seine Waffe wieder herzurichten. Es war kein leichtes Stück Arbeit; denn der Stahl war hart und zähe.

Als er endlich die steilen Stufen zur Tribüne hinauf-stieg, war das Schauspiel schon bald beendet.

Sein Kommen wurde nicht sonderlich bemerkt. Die hohen spanischen Offiziere und die auch in größerer Zahl anwesenden Damen schauten mit Interesse dem Spiel unten in der Arena zu. Da erhob sich um ihn und unter ihm ein Beifallssturm aus vielen tausend Menschenkehlen. Er sah hinunter; es fiel ihm leicht, denn bei seiner Größe konnte er bequem über die anderen hinweg in die Mitte des Platzes schauen. Mit gewandtem Stoß halte der Torero dem Stier das Herz durchbohrt. Jetzt stand er, sich vor der beifalljohlenden Menge tief verneigend, neben dem noch im Todeskampf zuckenden Stier. —

Die Herzogin, eine dunkle spanische Schönheit, reichte einem Knappen einen Blumenstrauß, den dieser nahm, um ihn dem Helden des Tages, dem Torero, zu bringen.

Für Minuten war Entspannung in der fiebernden sensationslüsternen Menge eingetreten. Man stand in Gruppen, unterhielt sich über das eben Gesehene und sprach schon wieder von dem neuen Kampf, der nun folgen sollte und als der Glanzpunkt des ganzen Festes gedacht war.

Jetzt war Sipelitz vom Herzog Ernst bemerkt worden. Dieser winkte ihm zu. Bereitwilligst ging er zum Herzog, ihm seine Entschuldigung über sein Zuspätkommen sagend. Herzog Ernst war im Begriff, ihn den hohen und höchsten Herrschaften vorzustellen, als unten ein wildes Geschrei den Anfang des neuen Kampfes verkündete. Sofort wandten sich alle Gesichter wieder dem Schauplatz zu.

Drunten wurde unter Geschrei und Gejohle ein prächtiger Bulle in die Arena getrieben. Man reizte ihn mit allen dazu üblichen Mitteln de« Jahrhunderte alten spa-

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nischen Stierkämpf es. Reiter auf wendigen Pferden jagten herbei und stießen dem Stier spitze Lanzen in die Weichteile, dabei recht bedacht, den Stier nicht arg zu verletzen, Andere schossen kleine spitze Pfeile auf das Tier, die im Körper des Stieres haften blieben. Wieder andere reizten das schon vor Wut schnaubende Opfer mit roten Tüchern. Geschickt und behende sprangen sie zur Seite, wenn der Gequälte zum todbringenden Stoß ansetzte.

Sipelitz hatte sich abgewandt, das Spiel widerte ihn an. Zu frisch waren seine blutigen Erlebnisse auf dem Schlachtfelde von St. Quentin. Sein Blick suchte eine andere Zerstreuung und blieb wohlgefällig auf der Gestalt einer jungen Dame haften, die an der Seite des Herzogs Philipp von Braunschweig stand. Ihr hellblondes Haar, der schlanke Wuchs und das edel geschnittene Gesicht zeugten von einer nordischen Abstammung.

Auch die Dame schien an den Ereignissen dort unten in der Arena kein sonderliches Interesse zu haben, denn leise flüsternd unterhielt sie sich angeregt mit Herzog Philipp. — Da, wieder ein vielstimmiges Geschrei. Diesmal der Ausdruck ,grenzenlosen Schreckens. Sipelitz wandte den Kopf. Dort unten war einer der Reiter zu tollkühn gewesen. Der Stier hatte sein Pferd mit den spitzen Hörnern erwischt und Roß und Reiter flogen in hohem Bogen auf den mit Holz gepflasterten Platz. Der Stier raste von neuem auf seine Opfer los. Wieder der markerschütternde Schreckensschrei aus tausenden von Menschenkehlen. Wieder flog eine dunkle Masse durch die staubwirbelnde Luft. — In eiligem Lauf nahte jetzt der Torero, die linke Hand hielt das Tuch, die rechte den todbringenden Degen. Es gelang ihm, den Stier von seinen Opfern loszubekommen. Der Bulle, als er das flatternde Tuch sah, fuhr herum. Blitzschnell wandte sich sein Gegner, sprang zur Seite, setzte zum Stoß an, verfehlte, und schon erreichte den Torero dasselbe Schicksal wie den Reiter und das Pferd. Wieder rollte eine dunkle Masse auf das Holzpflaster, um dann von den Tritten des Tieres zertrampelt zu werden.

Lähmendes Entsetzen hatte die Menge erfaßt; die Schreie waren erstickt in Angst und Sorge. Die blonde Dame

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an Herzog Philipps Seite stöhnte laut vor innerlichem Schmerz. Herzog Ernst gab durch einen Wink zu verstehen, daß er gehen wollte. Da drehte sich die Herzogin um, ihr Gesicht war wohl blaß, doch zeigte es keine Spuren innerlicher Erregung. „Blamage für uns Spanier”, flüsterte sie leise, doch verständlich für die nähere Umgebung. Der Herzog griff nervös an seinen schwarzen Spitzbart, dann wandte er sein Antlitz voll herum, und mit unruhiger Stimme fragte er laut: „Wer ist der Held unter euch, der es wagt, die Ehre dieses Tages für Spanien zu retten?”

Betretenes Schweigen rings herum. Da trat der Knappe vor, der vorhin dem siegreichen Torero den Blumenstrauß gebracht hatte. Kühn stellte er sich vor den Herzog hin: „So gebet mir die Ehre, edler Herzog, mein Blut für Spaniens Krone hier zu opfern”.

Der Herzog neigte tief den Blick zu dem Knappen seiner Dame. Dann sprach er langsam: „Wärest du ein Kriegsmann, gern wollt ich deinen Wunsch erfüllen, doch Knaben schickt man nicht als Opfer, nur um Blut zu sehen”.

Fragend starrte der Herzog wieder in die Runde, und dann sagte er: „Ich will kein Opfer, ich suche nur den Mann, der zeigt, daß Spaniens Sonne noch einen Helden groß werden ließ, der einen Stier im offenen Kampfe fällt!”

Die Blicke all der Männer waren auf der Erde. Ein jeder wußte, was dem kampfgewohnten Torero nicht gelang, das mußte jeder andere mit dem Tode büßen. — Da trat der Herzog Ernst vor und wandte sein Gesicht dem Herzog von Savoyen zu: „Zwar bin ich nicht ein Sohn des großen Spaniens, doch hab ich euch den Diensteid einst geleistet. Ich melde mich für diesen Dienst, den ihr verlangt!” —

Das durfte nicht sein, sein Herzog, den die Strapazen des Feldzuges schon so wie so arg mitgenommen, den ein böses Fieber fast verzehrte, es wäre sein sicherer Tod. — Da war Hans Sipelitz vor seinen Herzog getreten und hatte schlicht gesagt: „Für Spaniens Ehre müssen seine Helden kämpfen, für meinen Herzog kämpfe ich*. Gebt mir die Erlaubnis, in die Arena hinabzusteigen, ich* werde zeigen, wie man in Sachsen einen Bullen sticht.”

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„Wer ist der Kriegsmann, der es sich erlaubt, solche kühnen Worte hier zu sprechen?” Des Savoyers Zorn sprach ernst aus diesen seinen Worten.

„Es ist der Jägermeister Sipelitz, mein Leibhornist, dem ihr versprächet, das Leutnantspatent zu geben, weil er auf eigene Faust den französischen General Montmorency gefangen nahm. Ich verbürge mich für ihn mit meinem Namen als Herzog Ernst zu Braunschweig-Grubenhagen!”

..Ist dies der Mann, der einen General gefangen nahm, nun, so mag er auch die Ehre haben, diesen Stier zu töten!” Der Spott und Aerger klangen deutlich aus des Herzogs von Savoyen Munde.

Dann gab der Herzog Ernst ihm seine Hand. ..Leb wohl, Hans Sipelitz, ich' trage keine Angst um dich.”

Da fühlte er seine Hand im Gehen noch gefaßt und eine Rose ward ihm dargereicht. Er sah in zwei Augen, die so blau waren, wie der Himmel nur an Sommertagen ist, er sah in ein Gesicht, das götterähnlich. Nur ein Wort aus dem roten Munde hörte er nicht. — Jetzt war’s ihm leichter um das Herz. — Gemessen schritt er durch die Reihen all des Volkes. Manch hämischer Blick folgte ihm, der wohl dem Ketzer galt.

Bereitwilligst hatte man ihm dann das kleine Tor geöffnet. Der Bulle stand und stierte, den neuen Feind erwartend, diesen an, doch schien er sich' noch Zeit zu Jassen. — Dann hatte sich Sipelitz umgesehen nach all den Leuten, die den Stier vorher in Wut gebracht. Doch niemand ließ sich jetzt hier sehen. — Nun gut, so wollte er auch diese Arbeit noch' verrichten. — Ein Tuch ergreifend, das auf dem Boden lag. ging er schnurstracks auf seinen Gegner los. Der Stier sah kaum das rote Tuch, da brauste er schon heran. Nun, — im Springen hatte Sipelitz immer seinen Mann gestanden. — er sprang in leichter Rüstung über den Rücken von zwei Pferden. So war es ihm ein Leichtes, diesem ersten Ansturm durch einen weiten Sprung auszuweichen. Er blieb dem Ochsen auf den Fersen, er jagte ihn hin und her, er sprang bald nach der einen, bald nach der anderen Seite. Jetzt fand

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er fast Spaß an diesem Spiel; je toller sich der Stier gebärdete, desto leichter waren seine Sprünge.

Einen einzigen Blick nur warf er zur Tribüne und sah, daß da zwei Augen, die dem Kampf von vorhin abgewandt gewesen waren, nun seinem Kampf mit Bangen folgten.

Eben war er wieder mit schönem Sprung dem Stiere ausgewichen. Das Spiel mochte den Spaniern wohl zu lange dauern. Ein Spanier, mit dem Degen bewaffnet, war in die Arena gesprungen, durch Gebärden zeigend, daß er das Spiel zu Ende führen wollte. — Nun so mochte es sein. — Sipelitz trat zur Seite und sah dem weiteren Verlauf nur müßig zu.

Es dauerte nicht lange da lag sein Partner schon am Boden. Doch konnte er ihn vor dem Zertrampeln retten. Der Stier rannte wieder nach dem roten Tuch, das Sipelitz ihm vorhielt. Doch nun sollte der Kampf zu Ende kommen. Er zog den Stier, immer in Sprüngen ausweichend, dicht unter die Tribüne. Dann warf er geschickt dem Tier das rote Tuch über, erfaßte den Moment, wo der Bulle stutzte und hieb, das Schwert in beiden Händen haltend, nach der Nackensäule. Der Streich saß allzugut, das Haupt des Stieres hing nur noch an Sehnen. Dann fiel der schwere Körper auf die Seite, erhielt noch’ den Todesstoß, um dem armen gequälten Tiere das Sterben zu erleichtern. Dann wandte sich Sipelitz zum Gehen. —

Kein Gejohle und Getrampel wie vorher, als der Torero seinen Sieg erfochten, nein. Schweigen ringsum. Sipelitz sah. sich umschauend, nur in erschreckte Augen; und scheu wich man zur Seite, als er aus der Arena trat. Nur Feine schwarzen Kameraden umdrängten ihn jetzt jubelnd, sie wollten ihn auf ihre Schulter nehmen. Er winkte ab.

Der Herzog Ernst winkte ihn zur Tribüne hinauf. Nun gut, er wollte noch einmal in die blauen Mädchenaugen sehen. Die Herzogin, die stolze Frau, trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Er hätte sie küssen sollen. Nein, das lat er nicht. Er drückte sie nur so fest, daß einer der Offiziere besorgt zusprang. Er ließ die Hand der Herzogin frei. Dann hörte er zischend das Wort:

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„Barbar”. — Er wandte sich' um zu dem Sprecher und sagte laut: „Nennt ihr mich so. so will ich’s sein”, nahm das blutgetränkte Schwert und wischte es mit der flachen Seite dem Offizier an seinem weißen Kragen ab.

Im Nu flogen die Schwerter aus der Hülle. Es wäre noch mehr Blut geflossen an Spaniens Ehrentage, wenn nicht der Herzog von Savoyen Frieden geboten hätte. Der Schluß folgte dann am anderen Tage. Da fiel die den Degen umkrampfende Hand des Marquis von Esteres mitsamt dem eisernen Handschutze im Duell, von Sipelitz’ Schwerte abgehauen, auf den grünen Rasen.

Er hätte seinen Gegner töten können, doch es war genug des Blutes schon geflossen. Seitdem folgte ihm der Name „Barbar”, der ihn nicht wieder verließ, so lange er mit Spaniern und Franzosen zusammentraf. Seine Leute aber nannten ihn seitdem „den kühnen Hans”.

Nun, was die Feinde schreckt, das freut die Freunde! —

Noch in Gedanken, griff er nach' einer Schnur am Halse und zog am seidenen Faden einen goldenen Ring hervor, — den letzten Gruß der Komtesse von Wyndäle, der Braut des Marquis von Esteres. Mit solchen Geschenken dankt man keinem Menschen, den man verachtet. Nein, dieses stolze Gefühl Katte er, wenn er im Kampfgewühl auch gefehlt hatte, daß er nicht Obacht auf den Freund gegeben. Seine Ehre war rein geblieben, und dafür wollte er auch in Zukunft zu allererst sorgen, daß dies auch stets so blieb. —

Der Mond, der die ganze Zeit mit seinem Licht die alte Herzogsburg beleuchtet, verschwand nun wieder hinter dichten Wolken. Des Grübelns müde, legte sich Sipelitz auf seine Lagerstatt, wo ein gesunder Schlaf ihm bald die Augen schloß. —

Die Dezember-Sonne schien ganz flach' in das niedrige Fenster, als Sipelitz erwachte. Drunten im Hause hörte er schon, wie fleißige Hände mit Geschirr und Geräten klapperten. Erst wollte ihm der Unmut über seinen langen Schlaf die Laune trüben, dann gewahrte er die Sonnenstrahlen. und aller Unmut verflog bei dem Anblick des

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goldenen Tageslichtes. Schnell erhob er sich und ordnete seine Kleider.

Sein erster Gang führte ihn in den Stall zu seinem Pferde. Freudig konnte er feststellen, daß sein „Bärwulf" — seit altersher hießen die Kriegspferde in dem Geschlecht der Sinelitz „Bärwulf” — seine Ordnung hatte. In der Raufe lagen frisches Heu und Hafer, und ein an der Wand stehender Eimer zeugte davon, daß das Pferd auch zu saufen bekommen hatte.

Hans Sipelitz klopfte und streichelte den Hals des treuen Kriegskameraden, und Bärwulf legte empfänglich und dankbar sein Maul an die Wange seines Herrn, der ihm jetzt seine Gedanken aussprach, die ihn im Innersten beschäftigten: „Jetzt sind wir in der Heimat, in der goldenen Freiheit*, jetzt wollen wir uns das Leben so gestalten, wie es uns behagt. Nicht der bleiche Tod wartet mehr an unseren Pfaden, nein, lachendes Leben umgibt uns letzt. Nun frisch auf. Bärwulf, ich hole dich gleich, und dann geht es in den Wald, den wir so lange entbehren mußten.”

Er gab dem Pferde noch’ einen sanften Schlag zum Abschied und trat dann über die große Diele in die Wohnstube, in der er gestern abend mit dem alten Tile gesessen hatte. — Der Alte war es auch’, der ihn hier mit einem Guten Morgen. Hans” begrüßte. Sipelitz erwiderte diesen Gruß, dabei schüttelte er ihm derb die Hand und bedankte sich bei ihm für die Pflege, die seinem Pferde zuteilgeworden war. — Raven nickte nur. Dabei trat wieder der Schmerzenszug um seinen Mund, der sich gestern nacht, in der Wiedersehensstunde auf dem Platz der ..Neun Eichen” dort eingegraben Katte, und nun wohl für immer dort haften bleiben würde.

„Wo ist eure Tochter Margarethe, Tile Raven? Ich würde gerne sehen, wenn ich’ sie auch begrüßen könnte.” Mit diesen Worten versuchte Sipelitz die Gedanken des Alten in andere Bahnen zu lenken.

Ehe der Angesprochene noch eine Antwort geben konnte, erschien schon die Gewünschte in der Tür. die nach der Hinterdiele führte. Hans Sipelitz stutzte. Donnerwetter! Das war doch nicht Margarethe, deren Bild er vom Ab-

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schied her in Erinnerung hatte? — Nein, seine Hand griff unwillkürlich nach der Brust, dort, wo das Ringlein an seidener Schnur hing. Das Mädchen, das da jetzt vor ihm stand und ihm die schlanke, weiße Hand reichte, das war Komtesse von Wyndäle. Oder konnte es so etwas geben, daß sich zwei Menschen, die hunderte von Meilen von einander getrennt wohnten, so ähnlich sehen konnten?

Margarethe Raven war still und ernst auf ihren Gast zugetreten. Das leicht gezwungene Lächeln, das um ihren Mund lag, konnte die tiefe Trauer nicht verwischen, die sich in ihrer Haltung und in ihren Blicken kund tat. Sie hatte ihm die Hand geboten und ihren Willkommensspruch gesagt: ..Seid herzlich willkommen in der Heimat. Hans Sinelitz!” Dann sprach sie gleich weiter, um die Verlegenheit des ersten Wiedersehens zu mildern: ..Der Vater hat mich" von allem unterrichtet, auch" von dem Tode meines Bruders.”

Hans Sipelitz war nicht fähig ein Wort der Erwiderung herauszubringen. Zu abgeschmackt schien ihm alles, was er hätte erwidern können. So nahm er einfach den Kopf des Mädchens in seine großen Hände und küßte die hohe, weiße Stirn.

Jetzt war es mit der Fassung des willenstarken Mädchens vorbei. Ein Tränenstrom brach aus ihren Augen. Als ob sie sich schämte, den Schmerz um den Tod ihres Bruders dem Freunde zu zeigen, verschwand sie auf demselben Wege, auf dem sie gekommen war, durch die Tür nach der Hinterdiele.

Sipelitz wandte sich nach' dem Alten um. Der stand vor dem niedrigen Fenster und sah ins Leere. Die Sonnenstrahlen fielen auf das Haupt des Greises und umhüllten es mit einem goldenen Schein. Sipelitz fühlte, diesen Schmerz mußten Vater und Tochter allein tragen, jedes Wort von ihm hätte hier nicht Linderung bedeutet, nein, Märe ein neues Aufreißen der Wunde gewesen. — So nahm er schnell einige Bissen Brot zu sich, trank von der heißen Milch, die man ihm zurechtgesetzt hatte und nahm von Tile Raven Abschied, ihm sein Vorhaben mitteilend, daß er in den Wald reiten wolle.

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Dann eilte er in den Stall, sattelte sein Pferd, und nun ging es in leichtem Trab die Anhöhe zum Burgberg hinauf. Dort oben verweilte er, sali unter sich die Siedlung Freiheit mit den „Neun Eichen”, alles in das Gold der Dezembersonne getaucht. — Wären nicht die schweren Gedanken gewesen, er hätte sein Horn an den Mund geführt und frisch-freudig hinuntergeblasen: „Ich grüße Dich, Heimat, du goldene Freiheit”.

Vom östlichen Teil der Stadt Osterode, aus der Richtung des Jakobitores, tönte jetzt Hörner- und Trommelklang zu ihm herüber. Dort holten die waffenfähigen Osteroder Bürger, die Schützengilde, jetzt des Herzogs schwarze Reiter zum Einzug in die Stadt ab. Sie hatten diesen feierlichen Einzug verdient, die Kämpfer. Es waren brave Jungen dabei, Jungen, die gezeigt hatten, daß sie Herz und Mut hatten. Doch unwillkürlich verglich er den Empfang der Reiter von Freiheit zu mitternächtlicher Stunde auf dem Platz der „Neun Eichen”, und den der Osteroder Reiter, der nun mit allem Pomp auf dem Marktplatz in Osterode gefeiert wurde. —

Ja. es hatte immer ein kleiner Gegensatz bestanden zwischen den Siedlern bei den ..Neun Eichen”, den Mannen des Herzogs, die frei von Kontributionen und frei von allem Hand- und Spanndienst waren, nur die Verpflichtung hatten, dem Herzog in jedem Kampf zu folgen, und den Bürgern der Stadt, die auf ihre ererbten Rechte als Stadtleute pochten, aber dem Herzog jedes Jahr die Bede (Steuer) entrichten mußten.

Im Felde war dieser Gegensatz nie zu Tage getreten. Da verband das Gefühl der gemeinsamen Heimat sie zu unzertrennlichen Brüdern, zu Kameraden: aber hier in der Heimat selbst, da war er wieder in Erscheinung getreten, als die Osteroder ihnen in Herzberg, nachdem sie vom Herzog Ernst verabschiedet waren, zumuteten, sie sollten sich anderen Tages ihrem Zuge hinten anschließen. Da waren die sechs „Freiheiter” zu ihm gekommen und hatten ihn gebeten, daß er sie in die Heimat führte. Er hatte ihren Bitten entsprochen, sich vom Herzog auf einige Tage Urlaub genommen, und dann hatten sie noch in der Nacht

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die sonst zwei Stunden in Anspruch nehmende Strecke von Herzberg nach Osterode und Freiheit zurückgelegt, kaum drei Viertelstunden dazu gebrauchend.

Nun stand er einsam oben auf der Stammesburg des Landesherrn. Drunten im Tal lagen die Hütten mit den rauchenden Kaminen, links von ihm die Stadt im Gepränge des festlichen Einzuges ihrer Kriegerschar. — Wieder wollte ein bitteres Gefühl in ihm hochsteigen. Er unterdrückte es mit Gewalt, gab durch Schenkeldruck Bärwulf zu verstehen, daß er weiter reiten wolle, und das Pferd gehorchte. Es lief nicht, nein, es flog den Hoster weg hinauf in den winterkalten Eichenwald hinein, der die ganze Höhe des Burgberges bedeckte. Dann ging’s auf schmalem Fußweg weiter, immer den Kamm des Höhenrückens entlang. — Zweige schlugen ihm in’s Gesicht. Er achtete nicht darauf. Mit hellen Augen schaute er links und rechts über die heimatlichen Berge und Täler.

Nach kaum einer Stunde kam er an den Ort, den sie Buntenbock nannten. Hier standen einige Blockhütten von Köhlern und Hüttenleuten. — Doch wie hatte sich der Platz seit seiner Abwesenheit verändert! Eine große Fläche des Buchen- und Eichenwaldes war abgeholzt. Meiler brannten ringsherum. An anderer Stelle sägte man auf hohem Gerüst die Stämme zu Balken und Planken. — Eine neue Siedlung war hier im Entstehen. Die Leute hatten blondes Haar und blaue Augen. Sie waren vom sächsischen Stamme.

Verwundert schauten die Arbeiter auf, als der schwarze Reiter wie der Wirbelsturm vorbeiflog. Sie ließen ihr Handwerkszeug sinken und sahen mit geöffnetem Munde dem schnell verschwundenen Roß und Reiter nach.

„Der wilde Jäger”, wagte einer der Leute halblaut zu sagen und einige nickten. — Ja, es war der wilde Jäger, der Jägermeister Sipelitz. ..Der kühne Hans”, so nannten ihn seine Freunde; „Barbar”, so sagten die Feinde, die nicht gern mit ihm was zu tun haben wollten. —

Weiter ging der Ritt. Bärwulf schien überhaupt keine Müdigkeit zu verspüren. Trotzdem der Weg immer bergan in’s Gebirge führte, wechselte er nur selten seine Gangart und fiel in einen langsamen Trab.

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Clusdal lag vor ihm. — Hier war vor 20 Jahren nur eine einsame Clus, ein kleines Gotteshaus, eine Klause zu sehen, und nun war hier jetzt emsiges Leben und Werken! — Sein Vater, Volkmar Sipelitz, hatte ihm oftmals von dem weisen Mönch berichtet, der diese Clus so lange betreut hatte und der auch das erste silberhaltige Gestein hier fand. — Jetzt hatte der Herzog fremde Hüttenleute aus Franken herbeigeholt, ihnen die Bergfreiheit gegeben und sie angesiedelt. Sein Kanzler Spiegelberg, geschäftstüchtig. hatte in des Herzogs Abwesenheit wohl die Besiedlung des Harzes noch’ tatkräftiger durchgeführt. Das bewiesen die vielen neuen Blockhütten, die entstanden waren oder sieh noch im Bau befanden. —

Der Reiter mied die Menschen und schwenkte rechts ein; er wußte, mit den Fremden war auch mancher hergekommen, den nicht die Lust zur Arbeit, sondern die Gier nach Geld trieb, und dem es gleich war, auf welche Art er es sich beschaffte. — Nun, er würde ein scharfes Auge haben auf seinen Wald. Die Gesetze in dem alten Sachsen waren streng; Diebstahl wurde, je nach Auslegung, am Leben bestraft. Tile Raven in dem Gericht der „Neun Eichen”, war ein gerechter, aber auch ein strenger Richter.

Nach längerem Ritt über die Berge und kleine Täler, langte Sipelitz bei den Eisenhütten am „Camp der Schlacken an. Von dort ging es dann das Sösetal hinunter. Die Sonne, die den ganzen Tag geschienen hatte, wollte eben ihren kurzen Tageslauf beenden, als er an Hermann des Heeren Tür klopfte und Einlaß begehrte. —

Hermann des Heeren besaß von seinen Vätern ererbte Hüttenstellen am Scherenberge. Auch war er Eigentümer der Zangenhütte im Bredenbeek (Bremke). Mit lautem Halloh wurde der Reiter empfangen, als er durch die Tür. die ihm von einem halbwüchsigen Jungen geöffnet wurde, in die Stube trat.

Hier in dem Hause des Hermann des Heeren war Sipelitz ein gerngesehener Gast. Man umarmte ihn, so gut es gehen wollte, denn er war ja einen Kopf größer als durchschnittliche Menschen. Die Hand wurde ihm so kräftig

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geschüttelt, als sollte sie ihm vom Körper gerissen werden. Dann mußte der Gast Platz nehmen. Diensteifrige Hände besorgten sein Pferd. Ihm selber wurden Speisen aufgetragen: Brot. Fleisch und Bier. Ja, die Hausfrau, Mathilde des Heeren, erbot sich sogar, ihm eine wärmende Suppe zu Lochen. Fünf Kinder, drei Jungen und zwei Mädchen, stritten sich darum, wer von ihnen zuerst auf des großen Mannes Knieen reiten dürfte. Aber auch dieser Streit fand ferne Beilegung indem Sipelitz allen Fünfen zugleich diesen Wunsch erfüllte. Das war ein Gequike und Gekrähe, bis es dem Vater zu bunt wurde, und er seine Sprößlinge, alle Fünfe, an die Luft setzte mit dem Bemerken, sie sollten dem Onkel erst einmal Zeit zum Essen lassen, bevor sie ihr Spiel mit ihm trieben. —

Doch der unfreiwillige Aufenthalt vor der Tür gefiel den Kindern anscheinend nicht. Es dauerte nicht lange, da steckte eins nach dem andern den Kopf vorsichtig zur Tür herein, und als sie sahen, daß der Vater nicht mehr zornig war und der Onkel Jäger so fleißig aß. da huschten sie wieder in die Stube. Sie drückten sich scheu an der Wand entlang, wurden dann dreister und standen, von ihrem Vater gelitten, bald wieder um den großen Tisch herum, schauten mit ihren blauen Kinderaugen bewundernd den großen Mann an; denn der Onkel Jäger kam ihrer Anschauung nach gleich nach dem großen Herzog und dieser wieder gleich nach dem lieben Gott.

Fleißig, ohne viel Worte dabei zu machen, räumte Sipelitz unter den vorgesetzten Speisen auf. Der lange Ritt in der frischen Luft hatte ihm einen tüchtigen Hunger bei-gebraeht. Mit Augen, in denen der Glanz ehrlicher Freude stand, schaute er sich im Kreise um. Ueberall nur strahlende Gesichter. Er fühlte, hier war die Heimat, hier war er gern gelitten, mit diesen Menschen verknüpften ihn die Rande treuer, ehrlicher Freundschaft. — Er dachte an das Haus Tile Ravens, wo mit seinem Kommen die Trauer eingezogen war.

Nachdem dann Sipelitz, fertig mit dem Essen, das Messer fort gelegt hatte, konnte er sich dem Wunsche seiner Gastgeber nicht mehr entliehen. Er mußtg einen kurzen

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Bericht über seine Erlebnisse in Feindesland geben. Worte der Teilnahme und des Mitgefühls lösten sich von dem Munde seiner Zuhörer, als er über die Nichtzurückgekehrten erzählen mußte und die Namen dieser Kämpfer und Gefallenen nannte. — Aber stolze Freude zeigte sich auf den Gesichtern, als sie von dem Ruhm erfuhren, den der Herzog Ernst mit seinen schwarzen Reitern sich in den Niederlanden erworben hatte. Hermann des Heeren sah darin immer wieder einen Grund, seinem Gast mit Osteroder und Einbecker Bier zuzusprechen. Dieses gesunde Wiedersehen mußte nach seiner Meinung begossen werden.

Als dann Sipelitz nach längerem Verweilen zum Aufbruch drängte, hatte er Mühe, von den gastlichen Menschen loszukommen. Man ließ ihn nur mit dem Versprechen gehen, daß er bald wieder am Scherenberge einkehren würde. —

Der Weg vom Scherenberge bis zur Freiheit war nicht weit. So langte Sipelitz nach’ kurzem Ritt vor seinem Elternhause an. Nach seinem Besuch’ bei seinem Freunde Hermann des Heeren mochte er heute nicht mehr in das Trauerhaus Tile Ravens einkehren. Er ritt die kleine Anhöhe des Bündchenberges hinauf und stand nun vor dem Hause seiner Väter. Es war ein schlichtes, einfaches Haus, lang gestreckt, in alter Niedersachsenbauart.

Bei der schon ein getretenen Dunkelheit sah Sipelitz nicht, daß um das Haus herum fleißige Hände erst vor kurzem Ordnung geschaffen hatten. Erst, als er über die geräumige Diele in das Wohnzimmer trat, wunderte er sich, daß schon alles für seinen Einzug nach der sechsmonatlichen Abwesenheit zugerichtet war. In dem Kamin brannte Feuer. In der Schlafstube nebenan war seine Lagerstatt hergerichtet. Als er sich um sein Pferd bemühend in den Stall trat, sah er, daß auch hier alles vorbereitet war. Schnell versorgte er sein Pferd und trat dann wieder in die Wohnstube. — Er glaubte zu wissen, wer der gute Geist des Hauses war, der hier gewaltet hatte, wie es besser keine Hausfrau tun konnte; es konnte niemand anders gewesen sein, als des alten Raven Tochter, Margarethe. —

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Er malte sich ihr Bild im Geiste, wie sie heute morgen vor ihm stand. Er dachte wieder an die Aehnlichkeit der Komtesse von Wyndäle mit Margarethe Raven. Die Erinnerung, welche ihn mit der Komtesse von Wyndäle verband, war wohl ohne Bedeutung für sein zukünftiges Leben, aber Margarethe Raven würde seine Zukunft sein, das Katte er heute beim ersten Anblick gefühlt, und Sipelitz war ein Mann, der sich über seine Gefühle stets im Klaren war.

Die Worte Tile Ravens fielen ihm ein, die derselbe in der Nacht auf dem Platz der „Neun Eichen” zu ihm gesagt hatte, wenn auch vieles davon ihm unverständlich geblieben war.

Jetzt erinnerte er sich der alten Truhe, die im Zimmer stand, wo die alten Jagdgeräte und Waffen seines Vaters und seiner Vorväter die Wände schmückten. Er nahm den Oelkrüsel, zündete ihn am Kaminfeuer mit einem Span an und begab sich dahin. Das Zimmer, welches er jetzt betrat, war das Heiligtum der Familie Sipelitz schon seit alter Zeit gewesen, und es däuchte dem Letzten des Geschlechtes, als stände er jetzt unter den Blicken seiner Ahnen. All die Waffen und Geräte, die hier in großer Zahl an den Wänden hingen, waren einst todbringend von den Händen seiner Ahnen geführt worden. Jedes einzelne Stück hatte seine Geschichte und zeugte gleichsam von der starken Persönlichkeit seines einstigen Trägers.

Hans Sipelitz trat mit zögerndem Schritt an die aus rohem Eichenholz gefertigte Truhe, der das Alter die tief-braune Färbung gegeben hatte. Er schlug den Deckel zur ück. Dort lag, was er suchte. — Neben verblichenen alten Schriftstücken befanden sich in der Truhe noch uralte Holzplättchen, auf denen germanische Runen eingeschnitten waren. Mit Ehrfurcht nahm er ein solches Plättchen in die Hand, betrachtete es lange und kam dann zu der Leberzeugung, daß es ihm und jedem anderen wohl unmöglich sei, diese Schriftzeichen zu entziffern. —

Nun nahm Sipelitz einen Stapel Dokumente. Vorsichtig, als könnten sie zerbrechen, trug er sie hinaus in das Wohnzimmer. An dem schweren Eichentisch begann er eins nach 

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dem anderen zu entfalten und die schon erheblich verblaßten Schriftzüge nach bestem Können zu enträtseln. —

Stundenlang saß er so in seiner Beschäftigung versunken. Es wurde ihm warm, trotzdem das Feuer im Kamin schon längst erloschen war. — Als er dann spät in der Nacht aufstand und seine Lagerstatt aufsuchte, da brannten ihm die Augen, aber vor seinem Geiste stand die Geschichte des uralten Geschlechts der Sipelitz. —

Sipelitz, einst der Name für den Jüngsten der Sippe, er würde bald „Sipeletzt” heißen; er war der letzte der freien Herren unter den „Neun Eichen”. Aber er würde nicht der letzte bleiben. — Er dachte wieder an Margarethe Raven, malte sich noch einmal ihr Bild im Geiste aus und schlief dann ruhig ein.

Die Stadt Osterode hatte ihren großen Tag. Schon vom frühen Morgen an war viel Volk in den Straßen. Schnell hatte sich die Nachricht verbreitet, daß des Herzogs Ernst schwarze Reiter, aus den Niederlanden zurückgekehrt, heute ihren Einzug in die Stadt halten würden. Durch Fruböse, den Wächter vom Johannistor, war es heraus -gekommen. De»i hatte es, nachdem er die Reiter von der Freiheit der „Neun Eichen” gesehen, keine Ruhe gelassen. In der Zeit zwischen drei und vier Uhr morgens, wo er wußte, daß die Menschen den festesten Schlaf hatten und er vor jeder Ueberraschung geschützt war, war eY den schmalen Weg in der Schild wache hinauf gerannt und hatte seinen Kameraden vom Jakobitore, Andreas Ziegenmeier, benachrichtigt.

Ziegenmeier und Fruböse waren selber lange Zeit Söldner gewesen, so daß alles, was irgendwie mit Krieg oder em W aff enhandwerk zusammenhing, sie ungemein interessierte. Als nun Veit Fruböse seine Nachricht mit dem nötigen Drum und Dran ausgepackt hatte, da neigte Ziegenmeier seinen ergrauten Kopf und meinte: „Tja, dann wird das wohl ein großer Tag werden.” — Andreas Ziegenmeier hatte mit seiner Voraussage recht behalten. —

Nachdem ein Meldereiter offiziell dem Rate der Stadt die Ankunft der Reiter amiesast. versammelte sich der hoch

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wohllöbliche Rat der Stadt Osterode auf der Ratsstlube, um kurz zu besprechen, welchen Rahmen man der Feier geben wollte. Johann Kluten. der Bürgermeister, eine große, hagere Erscheinung, hatte sich seinen Plan, nach dem sich die Feier abwickeln sollte, schon ausgearbeitet. Er wartete, bis auch der letzte der zwölf Ratsherren erschienen war und alle in den hohen Eichenstühlen Platz genommen hatten, dann trug er seine Gedanken vor, die er sorgsam auf einen Leinenbogen niedergeschrieben hatte. —

Feierlich waren diese Ratsstunden. — Gedämpft fiel das Tageslicht durch die rechtwinkligen Fensterscheiben auf die in schwarzer Ratstracht mit gestärkter weißer Halskrause gekleideten Männer. Ein jeder war sich seiner Würde und Weisheit bewußt, ein jeder von ihnen gab seinen Gesichtszügen den Ausdruck der Unnahbarkeit und der hohen Verantwortlichkeit seines Amtes. —

Dieses Benehmen und Gehabe wurde oft verspottet, am meisten wohl von dem herzoglichen Landdrosten Berkefeld, der den Räten der Stadt den Beinamen „Die Trauermäntel” gegeben hatte, da sie, wie er sagte, vor Ehrfurcht vor ihrer eigenen Person und ihrem Amte erstarben.

Nochmals überflog das scharfe Auge des Bürgermeisters den Kreis der Ratsherren. Mit Befriedigung stellte er fest, daß bei allen Anwesenden Interesse und Aufmerksamkeit für seine Worte vorhanden sein würden. Ohne große Umschweife ergriff er daher das Wort zu folgender Rede:

„Dem hochwohllöblichen Rat der Stadt Osterode entbiete ich meinen Gruß und eröffne hiermit die heutige Ratsstunde. Der Zweck der heutigen Ratsstunde dürfte Ihnen allen bekannt sein. Ich habe Sie nach hier kommen lassen, damit wir Beschluß fassen über den Rahmen und die Gestaltung des Festes, das die Stadt Osterode, über deren Wohl und Wehe Sie als Ratsherren zu wachen haben, den heimkehrenden Kriegern geben will und muß. —

Wenn ich sage, daß wir das Fest geben müssen, so will ich von vornherein gleich an die Pflicht erinnern, die uns gebietet, den Söhnen unserer Stadt einen feierlichen Empfang zu bereiten, obwohl ich zu allgemeinem Verdruß feststellen muß, daß der Herzog Ernst der Stadt wohl die

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gebührende Achtung versagte, indem er nicht mit seiner ganzen Kriegerschar hier einzog, wie er das bei unserer Schwesterstadt Einbeck zu tun beliebte. Der Verdruß über diese Vernachlässigung der Stadt ist berechtigt. Trugen wir doch einen großen Teil der Kosten, die dieser Feldzug des Herzogs Ernst nach den Niederlanden verschlang. Ich behalte dem Rat der Stadt deshalb auch vor, durch ein Schreiben an den herzoglichen Kanzler, Dr. Spiegelberg, den Herzog von unserm Verdruß in Kenntnis zu setzen. Doch ist es wohl nicht angebracht, den Söhnen unserer Stadt, die, wie wir aus gut unterrichteter Quelle wissen, sich heldenhaft in fremden Landen schlugen, das entgelten zu lassen, was der Herzog durch Nachlässigkeit verschuldete. So wollen wir dem heutigen Tag das feierliche Gepräge geben, das unsere Kämpfer verdient haben, und das unserer Stadt zur Ehre gereichen soll. —

So lege ich hiermit dem hochwohllöblichen Rat folgenden Entwurf für die Einzugsfeierlichkeit anläßlich der Wiederkehr der Söhne unserer Stadt vor, mit der Bitte, sich nicht zu lange mit Einzelheiten aufzuhalten, da der Wächter auf dem Turm von Düna jeden Augenblick den Anmarsch der schwarzen herzoglichen Reiter melden kann.

Hier machte Johann Kluten eine Pause, um dann fortzufahren :

„Der hochwohllöbliche Rat der Stadt Osterode empfängt an der Spitze der waffenfähigen Bürgerschaft die heimkehrenden Krieger am Jakobitore. Von dort geht es unter Geläut der Glocken der vier Osteroder Kirchen mit Hörnerschall und Trommelklang zum Marktplatz, wo unser Prediger Andreas Domeier, der ja den Feldzug als herzoglicher Feldprediger mitmachte, einen Dankgottesdienst abhält. — Im Namen des Rates und der Bürgerschaft der Stadt Osterode werde ich dann unsere heimkehrenden Söhne begrüßen. — Am Abend werden dann die schwarzen Reiter des Herzogs von der Stadt im Freudenzelt vor der Stadt mit Speis’ und Trank bewirtet. — Die Kosten werden durch eine Bede (Steuer) gleichmäßig auf alle Bürger der Stadt verteilt.
Nun bitte ich den hochwohl löblichen Rat um seine Zu

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stimmung, damit ich durch den Stadtschreiber sofort die nötigen Anordnungen bekanntgeben kann.”

Johann Kluten war mit seiner Rede zu Ende. Er nahm aber nicht in dem hinter ihm stehenden großen Eichenstuhl Platz, sondern erwartete stehend die Zustimmung der einzelnen Ratsherren, womit er gleichsam auf die Dringlichkeit hin weisen wollte.

Einzelne der Ratsherren gaben schon durch Kopfnicken zu verstehen, daß sie mit dem, was ihnen der Bürgermeister vorgetragen hatte, einverstanden waren, als der Ratsherr Hartmann, der Schuster, sich umständlich erhob. Mit etwas Verlegenheit drehte er den dicken Hals, auf dem ein roter Kopf mit listigen Schweinsaugen saß, in der steifen Halskrause, um sich Luft zu verschaffen. Nach einigen mißglückten Versuchen gelang es ihm doch, die Worte über die Zunge zu bringen, die natürlich nicht so rein verständlich herauskamen, wie er sie sich schon während der Rede des Bürgermeisters zurechtgelegt hatte. ..Hochwohllöbliche Ratsherren!” - Kurze Pause. - Die Schweinsäuglein musterten die Anwesenden, gleichsam im voraus um Zustimmung zu seinen Worten bittend. „Ich bin nach meiner Meinung natürlich' auch der Meinung, daß wir uns nicht lumpen lassen dürfen, daß wir überhaupt mit dem Bier heute abend bei dem Festschmaus uns nicht so knickerig anstellen dürfen. Zu dem Fest darf auch der Pomp nicht fehlen, das sind wir der Ehre der Stadt schuldig. Doch bin ich nach meiner Meinung nicht der Meinung, daß nun gerade wir Bürger wieder blechen sollen. — Wir Bürger zahlen gerade genug.

Nach meiner Meinung bin ich’ der Meinung, daß man diesmal die herzogliche Kasse blechen lassen kann. Denn der Spiegelberg schmeißt soviel Geld zum Fenster raus, dann kann er nach meiner Meinung auch den Trunk für des Herzogs Soldaten bezahlen. — So ist das nach meiner Meinung die richtige Meinung, und da bitte ich um Zustimmung.”

Tief auf atmend nach der geleisteten Anstrengung nahm Hartmann, der Schuster, seinen Sitz wieder ein. Die Köpfe der Ratsherren, die vorhin der Rede des Bürgermeisters

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zustimmend zunickten, nickten nun auch den Worten des letzten Sprechers Beifall. — Nur Johann Kluten, der Bür-germeister, sah mißbilligend zu Hartmann, dem Schustei, hinüber, doch vermied er es weise, gleich offen seinen Widerspruch zu äußern. Er war überhaupt immer sehr darauf bedacht, die Ratsstunden ohne erregte Debatten zu führen, denn es war ihm bewußt, wohin ein hitzig geführter Streit zwischen der Bürgerschaft, den von ihr gewählten Ratsherren und ihm, dem Bürgermeister, führen konnte. Der vor etwa 45 Jahren an den Bürgermeister Heiso Freienhagen verübte grausige Mord lebte noch immer in den Gesprächen der Schankstätten der Stadt.

Johann Kluten wurde einer Antwort enthoben, denn draußen an der hohen Flügeltür wurde laut und allen vernehmlich geklopft. Der Stadtschreiber öffnete und Veit Fmböse, erhitzt vom schnellen Lauf, trat ein.

Nach ungeschicktem Kratzfuß stieß der Torwächter mit einer Stimme, die einem Trompetensignal ähnelte, aus; „Sie kommen!”

„Wer kommt?” fragte der Bürgermeister, und Veit Fruböse antwortete, diesmal nicht mehr so heftig: „Sie kommen, die schwarzen Reiter des Herzogs Ernst. Der Turmwächter von Düna gab das Signal. Sie kommen und gleich sind sie da!”

„Nun, hochwohllöblicher Rat der Stadt Osterode, dann wollen wir unsere Ratsstunde schließen. Der Stadtschreiber, wird sofort die Bürgerschaft alarmieren lassen und ich! denke, daß sich jeder der hochwohllöblichen Räte an den Feierlichkeiten beteiligt.”

Johann Kluten grüßte, sich sogleich verabschiedend, die anwesenden Räte und trat dann, gefolgt von dem Stadtschreiber, in das Nebenzimmer, das zugleich” sein Amtszimmer war.

Die zurückbleibenden Räte besprachen sich noch kurz miteinander, um dann in einzelnen Gruppen die hohe Rathaustreppe hinunter zu schreiten. Sie gingen langsam und bedächtig, öfter im Gespräch stehen bleibend, sich so dem Volke, das immer zahlreicher die Straßen bevölkerte, in ihrer ganzen hohen Würde zeigend.

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Nur der Ratsherr Albert von Helle blieb etwas zurück. Er trug das Haupt nicht so erhoben wie die anderen Rats-Herren, sondern hielt es leicht gesenkt, als drückten ihn schwere Gedanken. —

So war es auch. Der bevorstehende Einzug der herzoglichen Reiter, der bei allen Bürgern der Stadt, soweit sie nicht um die Gefallenen trauerten, Freude und frohe Erwartung ausloste, bereitete dem Ratsherren Albert von Helle Sorge und Kummer. Nicht, daß er wie Tile Raven einen Sohn hatte, der einst mit auszog und jetzt nicht wiederkehrte, nein, er nannte nur eine Tochter sein eigen. Diese Tochter aber, die man allgemein als das schönste Mädchen der Stadt bezeichnete, galt dem Leutnant Franz von Berke-leld als versprochen. Sie hatte sich aber in der Zeit der Abwesenheit des jungen Edelmannes eines anderen besonnen und war jetzt im Begriff, dem herzoglichen Kanzler Spiegelberg ihre Hand zu geben. Diese Sinnesänderung seiner Tochter entsprach nicht dem biederen Sinne des alten Ratsherrn. — Franz von Berkefeld war ihm ein lieber, gern gesehener Gast in seinem Hause, dem Hellhof, gewesen, und gern hätte er ihn einst als seinen Eidam willkommen geheißen. Aber vergeblich waren seine Versuche gewesen, den starren Sinn des Mädchens umzustimmen. Das vornehme Gehabe und der Glanz, den der Kanzler um sich zu verbreiten wußte, hatten dem Mädchen die Augen geblendet. — Nun graute ihm vor der Stunde der Aussprache mit dem Edlen von Berkefeld, und das Bewußtsein der Mitschuld drückte ihn. So ging er den kurzen Weg vom Rathaus bis zfum Hellh'of in schweren Gedanken. —

Veit Fruböse und Andreas Ziegenmeier zogen mit schweren Trommeln durch' die Straßen der Stadt und riefen die Bürger zusammen, die zum Teil schon im vollen Heer-gewett, mit Eisenhaube, Brustpanzer und dem langen Feuerrohr angetan und bewaffnet, den Ruf schon erwartet hatten und jetzt dem Sammelplatz, dem Markt, zueilten. — So war überall, wo das Auge hinschaute, ein frohbewegtes Leben in den sonst so stillen Straßen der Stadt.

Vor dem Jakobitore, auf dem Platz, wo in früheren Jahren die Märkte abgehalten wurden, bauten sich die zur Begrüßung Erschienenen auf. — Die Jugend war zum

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großen Teil den Reitern auf der Straße nach Herzberg schon entgegengelaufen. — Alles war festlich' gekleidet, und auf allen Gesichtern lag erwartungsvolle Spannung.

Endlich, man suchte die kalt gewordenen Füße schon durch Treten-auf-der-Stelle zu erwärmen, kam ein Reiter in vollem Galopp die Straße von Herzberg heruntergesprengt. „Sie kommen! Sie kommen!” ertönte es freudig durch die Menge. —

Der Reiter zügelte sein Roß, ritt im Trab vor das Tor, wo auf einer etwas erhöhten Stelle der Bürgermeister mit den Räten stand, und überbrachte ihnen die Meldung von der baldigen Ankunft der Reiter. Dann schwenkte er mit seinem Pferde ein und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Johann Kluten, der Bürgermeister, trat auf den Hauptmann der Bürgerwehr, Jürgen Kuhlekatz, zu und gab ihm Anweisungen. — Dann folgten Kommandorufe. — Die Männer der Bürgerwehr ordneten sich. Die Zuschauermenge geriet in Bewegung. Jeder suchte seinen Platz nach vorn zu verbessern. So entstand ein Drängen und Schieben, bis von der Papenhöhe her Hornsignal ertönte und die große Schar der Reiter im vollen Galopp in der Ferne in der hellen Dezembersonne sichtbar wurde.

Es dauerte nur noch kurze Zeit, bis die Reiter dann in voller Kriegsrüstung mit schwarzem Brustpanzer und schwarzer Eisenhaube vor dem Tor erschienen, voran auf einem Rappen Franz von Berkefeld, hinter ihm der Wachtmeister Hattorf, dann folgten wohl an die 150 Reiter und am Schluß des Zuges der große Rüstwagen, den die Stadt Osterode dem Herzog gestellt hatte.

Johann Kluten, der Bürgermeister, erhob den Arm, zum Zeichen, daß der Zug halten solle. Dann setzte er sich, gefolgt von den Räten der Stadt und den beiden Trommlern, Veit Fruböse und Andreas Ziegenmeier, an die Spitze des Zuges. Die Bürgerwehr schloß sich hinter den Reitern auf, und dann folgte der wilde Haufen der Zuschauer im wirren Durcheinander.

Der Hornist blies, und Fruböse und Ziegenmeier fielen plötzlich mit ihren dumpfen Trommeln ein, den Wirbel schlagend, mit dem die Landsknechte in die Schlacht zogen.

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Die Pferde spitzten die Ohren, wurden unruhig und bäumten sich auf. Sie kannten das Signal.

Mit festem Griff versuchte Franz von Berkefeld sein Pferd am Boden zu halten, doch die nachfolgenden Pferde drängten, bäumten sich hoch, tänzelten und suchten sich der haltenden Zügel zu erwehren.

Die erschrockenen Ratsherren wichen zur Seite. Hartmann, der Schuster, war dabei so ungestüm, daß er Andreas Ziegenmeier umrannte. Dieser fiel über die große Trommel und der Schuster auch über ihn hinweg. Geistesgegenwärtig kullerten sich die beiden zum Straßenrand, und vorbei stob jetzt die wilde Jagd der Reiter, die auf das Zeichen ihres Führers sich sofort in Bewegung gesetzt hatten.

So langten die Reiter in voller Karriere auf dem Platz vor dem Rathaus an. Dort hielten sie, sprangen von ihren Pferden und erwarteten die langsam nachfolgenden Ratsherren und die Bürgerwehr.
Der Einzug der Reiter war nicht ganz so programmmäßig verlaufen, wie Johann Kluten, der Bürgermeister, es sich ausgedacht hatte, und seine Willkommenrede war dementsprechend auch reichlich nüchtern und weniger herzlich, als sie ursprünglich vorgesehen war. Im stillen hielt er die ganze Sache für ein abgekartetes Spiel, nur dazu ausgedacht, den Rat der Stadt und ihn selber im Ansehen der Bürger herunterzusetzen.
Andreas Domeier, der herzogliche Feldprediger, war in den Niederlanden verstorben, so daß in Ermangelung eines andern Pfarrherrn auch der vorgesehene Dankgottesdienst ausfallen mußte.
Nach den Worten des Bürgermeisters sprach Franz von Berkefeld. Er dankte im Namen seiner Reiter der Stadt Osterode für den feierlichen Empfang. Dann löste er den Zug auf. — Jetzt folgte das Wiedersehen der Reiter mit ihren Angehörigen. Auch hier gab es nicht nur lachende, sondern auch weinende und betrübte Gesichter um die nicht wiedergekehrten Streiter. —
Franz von Berkefeld übergab sein Pferd seinem Burschen. Dann sah er sich im Kreise um. Da gewahrte er auch schon diejenigen, die sein Auge suchte. Sein Vater,
der Landdrest Otto von Berkefeld. sein Bruder Pils und seine Schwester Anna hatten auf den ersten Stufen der Rathaustreppe gestanden und versuchten nun, sich zu ihm durchzudrängen. Franz von Berkefeld ging ihnen einige Schritte entgegen. Die Begrüßung mit seinem Vater, seinem Bruder und seiner Schwester war herzlich, aber vornehm zurückhaltend. Man liebte es nicht, sich vor allem Volke gehen zu lassen. Doch die Freude des Wiedersehens stand klar in allen Gesichtern. —
Stolz, aber auch mit heimlicher Sorge, betrachtete Otto von Berkefeld, der herzogliche Landdrost, ein älterer, stattlicher Mann, seinen ältesten Sohn. Der war hager geworden in der Zeit seiner Abwesenheit. Auf den bleichen Wangen zeigte sich eine matte Röte. War es die Folge von überanstrengendem Dienst, war es die Freude des Wiedersehens oder war es das Zeichen eines bösen Fiebers, das sich dort widerspiegelte ?

„Sei willkommen in der Heimat, Franz! Dem lieben Gott sei gedankt, daß du uns gesund zurückgegeben bist.” Der Alte schüttelte seinem großen Jungen kräftig die Hand.

Nun streckte Pils dem Bruder die Hand hin. „Willkommen, Bruder Franz! Du kehrst als Held zurück. Wir sind stolz auf dich und auf die Ehre, die du unserem Namen gemacht hast.”

Pils von Berkefeld studierte hohes Recht und seine Ausdrucksweise war gewählter als die seiner Angehörigen. —

Nun wandte sich Franz von Berkefeld seiner Schwester zu. Er küßte das große, schlanke Mädchen, deren bewundernde Blicke die ganze Zeit auf seiner Gestalt gelegen batten, leicht auf die Stirn. Dann drückte er ihre schmale, längliche Hand so fest, daß ein leiser Schmerzenslaut ihren Lippen entfloh.

Der alte Berkefeld wandte sich wieder an den Sohn; „Du hast jedenfalls einen Mordshunger, Großer. Wir wollen uns gleich auf die Socken machen. Unser Wagen steht auch hier. Du begleitest uns wohl zu Pferde nach dem Lindenberge?” Darauf wandte er sich schon zum Gehen. Er war gewohnt, daß seinem Wunsche von Seiten seiner Kinder sofort Folge geleistet wurde. Der Leutnant aber und seine Schwester schauten sich noch unschlüssig im Kreise um, als suchten sie jemanden. —

 

Ich sehe keinen von der ..Freiheit der Neun Eichen , wandte sich Anna von Berkefeld an ihren Bruder.

Der sah die Fragende an und erwiderte: „Hans Sipelitz, unser Freund, ist schon in voriger Nacht von Herzberg abgeritten. Ihm wurde die Zeit zu lang, bis er die Heimat wiedersah.”

„Also lebt er noch?”

Ich sehe keinen von der ..Freiheit der Neun Eichen, wandte sich Anna von Berkefeld an ihren Bruder.

Der sah die Fragende an und erwiderte: „Hans Sipelitz, unser Freund, ist schon in voriger Nacht von Herzberg abgeritten. Ihm wurde die Zeit zu lang, bis er die Heimat wiedersah.”

„Also lebt er noch?”

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Ich sehe keinen von der ..Freiheit der Neun Eichen", wandte sich Anna von Berkefeld an ihren Bruder.

Der sah die Fragende an und erwiderte: „Hans Sipelitz, unser Freund, ist schon in voriger Nacht von Herzberg abgeritten. Ihm wurde die Zeit zu lang, bis er die Heimat wiedersah.”

„Also lebt er noch?”

„Er lebt und ist wohlauf.”

Erleichtert atmete Anna von Berkefeld auf. „

„Ja, er lebt und liebt das Leben eines freien Mannes", fuhr ihr Bruder fort. „Das soll bedeuten, Hans Sipelitz ist noch immer der Einzelgänger geblieben, als den wir ihn kennen, doch ist er mein bester Kamerad, den ich in diesem Feldzuge hatte. Ich werde dir noch Wunderdinge von ihm erzählen. Doch nimm dein Herz in acht."

„Erzähle gleich! Bitte erzähle mir etwas von Hans."

„Nicht jetzt, zu Hause. - Doch sag’ mir ich habe schon immer vergeblich nach Elisabeth von Helle Ausschau gehalten. Den alten Helle sah ich, doch die Tochter suchte ich vergebens. Lebt sie noch? Oder ist sie etwa krank ?”

..Sie lebt und liebt!”

Betroffen sah Franz von Berkefeld seine Schwester an.

„Sie liebt den Kanzler Spiegelberg.” 

Die Beiden waren während der letzten Worte einige Schritte ihrem Vater und Bruder gefolgt, die beide vorangingen. Jetzt blieb Franz von Berkefeld wie angewurzelt stehen, schaute seine Schwester an und wiederholte die Worte: „Sie liebt den Kanzler Spiegelberg? — Das kann nicht wahr sein, Anna!"

„Es ist die Wahrheit und ich sage sie dir offen, damit du schneller über den Schmerz hinwegkommst, den dir diese Nachricht verursachen muß."

Anna von Berkefeld hakte den großen Bruder ein und zog ihn vorwärts. Dann sprach sie weiter: „Gräme dich nicht um Elisabeth von Helle, sie ist deiner nicht wert."

„Sie ist meiner nicht wert? — Sie ist das beste Mädchen, das ich außer dir kenne. — Sie ist ein Engel!"

„Von Gestalt. Du urteilst nur nach dem Aeußeren, die Fehler siehst oder kennst du nicht”, gab das Mädchen dem Bruder zur Antwort.

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Mittlerweile waren sie an der hinteren Front des Hellhofes vorbeigeschritten. Franz von Berkefeld konnte es nicht unterlassen, einen Blick zu dem großen Bürgerhause hinüber zu werfen; er konnte aber nichts entdecken, was seine Neugierde befriedigte. —

Dann bestiegen der Landdrost mit seinem Sohn Pils und seiner Tochter Anna den Wagen. Franz von Berkefeld aber schwang sich auf sein Pferd, welches der Bursche ihm nach gebracht hatte, und nun ging bs in langsamer Fahrt aus dem Marientor hinaus zum Lindenberg, dem Wohnsitz der Familie von Berkefeld. Der Weg führte durch das Mariendorf und den Park vom Lindenberg. Der eigentliche Lindenhof war von einer festen Mauer aus Kalkschiefer und Sösekiesel umgeben.

In dem großen Hofe hatten die Dienerschaft, Knechte und Mägde Aufstellung genommen, um den Heimkehrenden zu empfangen. Frau von Berkefeld stand auf der kleinen steinernen Treppe, die zum Herrschaftshaus führte. Eigenhändig führte sie den Sohn in das Wohnhaus, und hier in dem kleinen Wohnsaal wurde Franz von seinen Familienangehörigen erst richtig begrüßt. Hier fiel der Zwang, den man auf der Straße vor den Leuten sich auferlegt hatte. —

Franz von Berkefeld konnte sich nur mit Mühe der Liebkosungen erwehren, die Mutter und Schwester über ihn ergehen ließen, bis der alte Berkefeld in seiner polternden Art dazwischen fuhr: „Nun ist’s aber genug! Das ganze Jahr betragt ihr euch wie Nonnen, und heute scheint der Deubel in euch gefahren zu sein! Laßt dem Bengel seine Ruhe, der ist müde und hungrig, von eurem Getue wird er bestimmt nicht satt. Hoppla, lustig, stellt das Essen auf den Tisch, wie es sich für tüchtige Hausfrauen gehört. —

Die Frauen gehorchten. Man rief nach der Magd, die im Hause ihren Dienst hatte, und während Franz von Berkefeld sich seiner Rüstung entledigte und vom Straßenstaub reinigte, deckten die Frauen den Tisch und trugen die Speisen zum Mittagmahl auf.

Er lebt und ist wohlauf.”

Erleichtert atmete Anna von Berkefeld auf.