Harz Kurier 2.01.1997 

Vor 130 Jahren [1997] gestorben

Ein fast vergessener Kirchenpädagoge, Pastor Schmidt

Osterode. Friedhöfe mäßigen im allgemeinen den eben noch hastigen Schritt über die Straße oder aus dem Auto. Dies gilt lagebedingt besonders für den Hauptweg von der Friedhofskapelle in Osterode hinauf zum oberen Teil der Grabfelder. Auf dem Weg dorthin begleiten zur Rechten Grabdenkmale unterschiedlicher Gestaltungsformen, Bepflanzungen und Schriftzeichen den Friedhofsbesucher. Zur Linken dagegen erstreckt sich eine Stützmauer mit fast gleichförmigen Steinbrocken, die an einer Stelle von einer Gedenktafel unterbrochen werden: „Hier starb am 1. Januar 1867 der Pastor prim. Schmidt”.

130 Jahre ist es her - ein Ereignis, das die Bürger in Osterode bewegte, besonders die Einwohner von Freiheit, denn es war ihr Pastor, der nachmittags um 3.00 Uhr bei einer Leichenbegleitung tot zusammenbrach.

Pastor Schmidt stand im 68sten Lebensjahr und hatte für Osterode außergewöhnliche Arbeit geleistet. Als 30jähri-ger kam er 1829 zur St.-Aegi-dien-Gemeinde und übernahm den Vorsitz im Schulvorstand der Freiheiter Schule (Die amtliche Schulaufsicht unterlag der Kirche bis 1919). Pastor Schmidt, gebürtig in Herzberg am Harz, heiratete Amalie Niederstadt, Tochter des Oberförsters Niederstadt aus Herzberg und engagierte sich als Schulsachverständiger. Er gründete bereits 1831 die Gewerbeschule für Lehrlinge aller Handwerksberufe (der Vorläufer der heutigen Berufsschule) und ein Jahr später die Höhere Töchterschule, die später den Namen Luisenschule bzw. Lyzeum trug. Gegen den Widerstand behördlicher und gesellschaftspolitischer Interessengruppen setzte er sich dafür ein, eine gleichwertige Schulbildung für Mädchen anzubieten. Über einen Förderverein erreichte er dieses Ziel und richtete einen Unterrichtsraum im Obergeschoß des Kaufmanns A. Meißbach, Scheffelstraße 2 (heute Praxisräume Dr. Klingebiel) ein.

In seine Amtszeit fiel die Hungersnot von 1847 und die Revolution 1848-49, dazu die Cholera-Epedemie 1850-51. Keine günstigen Voraussetzungen, soziale Verbesserungen zu erwirken, für die er sich unermüdlich einsetzte. Gemeinsam mit Pastor Max gründete er zu der seit 1831 bestehenden gewerblichen Fortbildungsschule für Lehrlinge nun für Mädchen eine „Industrieschule”. Ziel dieser Schule war, junge Mädchen, die kaum Aussicht auf eine bezahlte Beschäftigung hatten, so zu befähigen, daß sie sich ihren Lebensunterhalt sichern konnten. Schwerpunktewaren Stricken, Nähen, Ausbessern von Kleidung, Fertigkeiten am Spinnrad, so daß sie als qualifizierte Hausgehilfin oder Heimarbeiterin auf Stellungssuche gehen konnten.

Das Besondere an dieser Ausbildung war, daß die erstellten Erzeugnisse verkauft wurden, der Erlös den jungen Mädchen zugute kam. Der pädagogische Wert, das Selbstwertgefühl der Mädchen auf diese Weise aufzubauen, war für die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse ein lebensnotwendiger Baustein. Am 30. Januar 1850 wurde im Schulhaus auf der Freiheit (heute Parkplatz Tengeimann) diese „Industrieschule” gegründet. Zu der Zeit war das Schulwesen im Königreich Hannover noch nicht reformiert. So existierten neben der Lateinschule und Knabenschule, der höheren Töchterschule sowie der Fortbildungsklassen für Lehrlinge von den Kirchen unterhaltene Parochialschulen. Diese wurden von Kindern der ärmeren Bevölkerungsschicht besucht, kosteten nur geringes Schulgeld und boten entsprechend nur eine unterrichtliche Hilfe im Lesen, Schreiben, Singen und Rechnen.

Diese schulische Minimalbildung wurde 1852 durch die Vereinigung der Parochialschulen St. Jacobi, St. Marien und St. Aegidien zur Bürgerknaben -und Bürgermädchenschule erheblich verbessert.

Pastor Schmidt wird urkundlich für diese Arbeit gewürdigt. Zwei Jahre später (1854) erweiterten die Initiatoren ihr Engagement und gründeten den ersten „Kindergarten”, die Kinderbewahranstalt an der Sösepromenade. Beide Einrichtungen, die Industrieschule und die Kinderbewahranstalt wirkten segensreich in der Bekämpfung der sozialen Not. Nicht nur für die Freiheiter Einwohner, auch für die Osteroder Bevölkerung bedeuteten beide Einrichtungen Pionierarbeit in der Sozialgeschichte der Stadt Osterode. Während die beiden Pastoren Schmidt und Max die administrative Absicherung herstellten, führte insbesondere der „Frauenverein von Osterode 1854” die praktische Umsetzung der Hilfe durch.

Zahlreiche Protokolle belegen den unermüdlichen Einsatz von Pastor Schmidt, daß er nicht nur ein erfolgreicher Schulmann, sondern darüber hinaus ein leidenschaftlicher Kämpfer gegen soziale Mißstände und Not war.

Seine handschriftlich gefaßten Protokolle und Unterschriften lassen vermuten, daß er seit Jahren mit einer schweren Krankheit zu kämpfen hatte, die möglicherweise am 1. Januar 1867 zu seinem plötzlichen Tod führte. Pastor Heinrich Georg Ludewig Schmidt hat für Osteroder Bürger einschließlich der Gemeinde Freiheit und für die Gartenstädter (bewohnte Gartenhäuser an der Söse bis Eulenberg) trotz der erschwerten Zeitumstände viel bewirkt - insbesondere im Kampf für soziale Verbesserungen. Sein Grab ist nicht erhalten geblieben, aber die Erinnerungstafel reicht aus, sich seines Wirkens für die Menschen dieser Stadt zu besinnen.
Albrecht Schütze


Erinnerungstafel für Pastor Schmidt. Wünschenswert wäre noch eine erklärende Ergänzungstafel.
Foto: H. Helbing